Leitthema Radiologe 2021 · 61:923–932 https://doi.org/10.1007/s00117-021-00887-3 Angenommen: 24. Juni 2021 Online publiziert: 29. Juli 2021 © Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 In diesem Beitrag CVST – Historie und Pathophysiologie – Epidemiologie – Symptomatik der vakzininduzierten CVST – Labordiagnostik der vakzininduzierten Allgemeine Prinzipien bei CVST · Allge- meine Prinzipien bei DIC · Vorgehen bei – Bildgebung der vakzininduzierten CVST Standard-cMRT/venöse MRA · Stan- dard-cCT/venöse CTA · Fallbeispiele – Therapie der vakzininduzierten CVST Präklinik · Akutbehandlung · Meldever- V. a. vakzininduzierte CVST fahren und Nachsorge QR-Code scannen & Beitrag online lesen Hirnvenen- und Sinusthrombose nach COVID-19-Schutzimpfung Neurologisch-radiologisches Prozedere Uwe Walter1 · Erik Volmer2 · Matthias Wittstock1 · Alexander Storch1 · Marc-André Weber2 · Annette Großmann2 1 Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsmedizin Rostock, Rostock, Deutschland 2 Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Kinder- und Neuroradiologie, Universitätsmedizin Rostock, Rostock, Deutschland Zusammenfassung Hintergrund: Die vakzininduzierte zerebrale Venen- und Sinusthrombose (VI-CVST) nach Applikation der COVID-19-Vakzine ChAdOx1 nCov-19 (Vaxzevria®; AstraZeneca) ist eine seltene Impfkomplikation. Fragestellung: Entwicklung eines diagnostischen und therapeutischen Standards. Material und Methode: Es werden Grundlagenarbeiten und Expertenempfehlungen sowie Erfahrungen in eigenen Fällen ausgewertet. Ergebnisse: Die VI-CVST tritt i. d. R. 4–24 Tage nach der Impfung auf, vorwiegend bei unter 60-Jährigen und bei Frauen. Meist spielt eine Immungenese durch Antikörper gegen Plättchenfaktor-4/Polyanion-Komplexe eine pathogenetische Rolle, die zu thrombotischer Thrombozytopenie und z. T. schweren klinischen, auch tödlichen Verläufen führt. Leitsymptom ist der Kopfschmerz, der meist während einiger Tage an Intensität zunimmt und variabel sein kann. Auch Krampfanfälle, Sehstörungen, fokal-neurologische Symptome und Zeichen des erhöhten Hirndrucks sind möglich. Bei Verdacht auf VI-CVST ist die Kontrolle von D-Dimeren, Thrombozytenzahl und Screening auf eine heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT2) therapeutisch richtungweisend. Bildgebende Methode der Wahl zur Bestätigung bzw. Ausschluss der VI-CVST ist die Magnetresonanztomographie (MRT) mit venöser MR-Angiographie (MRA). In MRT-T2*- und suszeptibilitätsgewichteten (SWI) Sequenzen verursacht der Thrombus ausgeprägte Suszeptibilitätsartefakte (Blooming), so dass auch isolierte Thrombosen kortikaler Venen detektiert werden können. Mit der MRT/MRA bzw. Computertomographie (CT)/CT-Angiographie kann die Diagnose einer VI-CVST in Synopse mit den klinischen und Laborbefunden meist zuverlässig gestellt werden. Schlussfolgerung: Die VI-CVST erfordert die rasche labormedizinische und radiologische Diagnostik. Bei Nachweis einer Thrombozytopenie und/oder pathogener Antikörper werden spezifische Therapien zur Antikoagulation und Immunmodulation empfohlen. Schlüsselwörter SARS-CoV-2 · Impfkomplikation · Magnetresonanztomographie · Vakzininduzierte thrombotische Thrombozytopenie · Intravenöse Immunglobuline Das Bekanntwerden von teilweise tödlich verlaufenen Fällen mit zerebraler Venen- und Sinusthrombose (CVST) nach Impfung mit der COVID-19-Vakzine der Firma Astra- Zeneca (ChAdOx1 nCov-19; Vaxzevria®) hat seit März zu einer gehäuften Anforde- rung von Magnetresonanztomographie- Untersuchungen des Kopfes (cMRT) ge- führt. Um eine Unter- bzw. Überdiagnostik zu vermeiden, ist eine Abstimmung des diagnostischen Vorgehens zwischen Neu- rologen und Radiologen erforderlich. Hier stellen wir ein interdisziplinär vereinbartes Prozedere bei Verdacht auf vakzininduzier- te zerebrale Venen- und Sinusthrombose (VI-CVST) vor, das in unserem Hause un- ter Einbeziehung der Empfehlungen der Der Radiologe 10 · 2021 923 Leitthema Gesellschaft für Thrombose- und Hämo- staseforschung (GTH) erstellt wurde. Historie und Pathophysiologie Seit Anfang 2020 betrifft die COVID-19- Pandemie die Länder in Europa und welt- weit. In der EU sind bislang von der Euro- päischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zwei RNA-Impfstoffe und zwei adenovirusba- sierte Vektorimpfstoffe gegen den Erreger SARS-CoV-2 zugelassen worden. Diese ha- ben eine gute Wirksamkeit und Sicherheit. Schwere Nebenwirkungen, wie z. B. akute schwere allergische Reaktionen, sind sehr selten [1]. Seit März 2021 wurde jedoch vermehrt über Einzelfälle mit zum Teil tödlich ver- laufenen Thrombosen nach Impfung mit der AstraZeneca-Vakzine (Vaxzevria®) be- richtet. Bis zum 16. März 2021 hatten in Europa (vorwiegend in Großbritannien) ca. 20 Mio. Menschen die AstraZeneca- Vakzine erhalten, und in diesem Zeit- raum waren der EMA nur 7 Fälle von Thrombosen multipler Venen in Assozia- tion mit einer disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC) und 18 Fälle von VI- CVST gemeldet worden [2]. Von den bis dahin in Deutschland bei > 1,6 Mio. verabreichten Impfdosen der Firma Astra- Zeneca aufgetretenen 13 Fällen mit VI- CVST waren mehrere tödlich verlaufen. Die Thrombosen traten 4–16 Tage nach der Impfung mit der AstraZeneca-Vak- zine bei 12 Frauen und einem Mann im Alter von 20–63 Jahren auf [3]. Die Ähnlichkeit mit der heparininduzierten, antikörperbedingten Thrombozytopenie (HIT2) motivierte mehrere europäische Arbeitsgruppen zur Aufklärung des ange- nommenen autoimmunologischen Pro- zesses [4–6]. Die Arbeitsgruppe um Prof. Greinacher von der Universitätsmedizin Greifswald konnte in Kooperation mit dem Robert-Koch-Institut (RKI) erstmals den an- tikörpervermittelten Pathomechanismus belegen [3, 4]. Zuvor waren bereits bei an COVID-19-Erkrankten auffällig hohe Anti- körpertiter gegen Plättchenfaktor 4 (PF4)/ Heparin gefunden worden, die allerdings ohne thrombozytenaktivierende Wirkung waren [7]. Die neuen Erkenntnisse legen nahe, dass durch den adenovirusbasier- ten Vektorimpfstoff – anders als durch das SARS-CoV-2-Virus selbst – thrombo- 924 Der Radiologe 10 · 2021 zytenaktivierende Antikörper gegen PF4/ Polyanion-Komplexe induziert werden [4–6]. Diese können in Einzelfällen zu einer Verbrauchskoagulopathie (dissemi- nierte intravasale Gerinnung, DIC) mit Entwicklung von Thrombosen an atypi- schen Lokalisationen führen, insbesondere CVST, aber auch in den Mesenterialvenen und vereinzelt in Arterien [4–6, 8]. Diese Komplikation wird als vakzininduzierte thrombotische Thrombozytopenie (VITT) bezeichnet [4]. Gemäß einem neueren Review kann die VITT 4–24 Tage nach der Impfung auftreten [9]. Nach Prüfung dieser Fälle durch die EMA und das RKI wurden die Informatio- nen über das seltene Risiko impfassoziier- ter Thrombosen mit Thrombozytopenie in den am 18. März 2021 aktualisierten Auf- klärungsbogen für die COVID-19-Schutz- impfung mit einem Vektorimpfstoff aufge- nommen [1]. Zudem empfiehlt die Ständi- ge Impfkommission die Impfung mit der AstraZeneca-Vakzine im Regelfall nur bei Menschen im Alter ≥ 60 Jahre, während bei Jüngeren eine individuelle Entscheidung für die Impfung mit dieser Vakzine möglich bleibt,dienachAufklärungüber dieRisiken gemeinsam von Arzt/Ärztin und PatientIn getroffen werden muss [1]. Insbesondere sollen alle Personen, die nach der Imp- fung neurologische Symptome aufweisen, wie starke oder anhaltende Kopfschmer- zen oder Sehstörungen, oder bei denen nach einigen Tagen auf der Haut Blutergüs- se oder punktförmige Hautblutungen (Pe- techien) außerhalb des Verabreichungs- ortes der Impfung auftreten, umgehend einen Arzt aufsuchen. Inzwischen wur- den auch für die Einmal-Vakzine der Fir- ma Johnson & Johnson (COVID-19 Vaccine Janssen Injektionssuspension®) mehrere Fälle mit VITT (ausschließlich Frauen) be- richtet [9]; daher wurde auch für diese Vakzine ein Rote-Hand-Brief mit der Emp- fehlung herausgegeben, auf Zeichen einer Thrombose in den ersten 3 Wochen nach Impfung zu achten, insbesondere bei Frau- en; die epidemiologische Relevanz ist hier allerdings noch unklar. Epidemiologie Die Zahl der bekannten Fälle in Deutsch- land mit gefährlichen VI-CVST in Zusam- menhang mit der AstraZeneca-Vakzine lag am 26.03.2021 bei 15 [10]. Dies entspricht, in Relation zu ca. 2,1 Mio. zwischen dem 29.01.2021 und dem 19.03.2021 mit die- ser Vakzine Geimpften (RKI-Impfquoten), einer Quote von ca. 4,3 Fällen auf 100.000 Geimpfte (unter 65-Jährige). Im Vergleich mit der Inzidenz der spontanen CVST (ca. 1,3/100.000 Einwohner [11]) spricht dies für ein relativ erhöhtes Risiko der VI- CVST. Davon sind bislang weit überwie- gend Frauen im Alter von bis zu 63 Jahren (seltener auch älter) betroffen [3–6, 8, 9]. Neben ausgedehnten (teils tödlich verlaufenden) Thrombosen der großen intrakraniellen Sinus konnten auch rein kortikale zerebrale Venenthrombosen be- obachtet werden. Symptomatik der vakzin- induzierten CVST Die kraniozerebrale Symptomatik von VI- CVST und spontaner aseptischer CVST un- terscheidet sich nicht: – subakute bis akute, i. d. R. holozephale Kopfschmerzen, – epileptische Anfälle, – Wesensveränderung, Delir, – Sehstörungen, – zentrale Paresen und andere fokal- neurologische Symptome, – Bewusstseinseintrübung bis zum Koma. Da bei der VI-CVST zusätzlich oft eine Thrombozytopenie infolge der DIC auftritt, ist auf damit ggf. verbundene zusätzliche Blutungszeichen zu achten: – kutane Hämatome, – Petechien, – anhaltende Nachblutung kutaner Punktionsstellen, – evtl. gastrointestinale Blutungen. Labordiagnostik der vakzin- induzierten CVST Allgemeine Prinzipien bei CVST Bei venöser Thrombose jeglicher Lokalisa- tion ist i. d. R. eine D-Dimer-Erhöhung im Plasma nachweisbar. Ein normaler D-Di- mer-Wert schließt allerdings eine CVST nicht vollständig aus, insbesondere bei Patienten mit (1) isolierten Kopfschmer- zen oder (2) seit > 1 Woche bestehender T2 PC 3D 10_10_10 54,20 8,68 15 120 × 120 757 Tab. 1 Magnetresonanztomographie(MRT)-Protokoll bei Verdacht auf vakzininduzierte zerebrale Venen- und Sinusthrombose (VI-CVST; Siemens Avanto; 1,5 T) Wichtung Sequenzname Nativ T2 DWI T2 FLAIR T2 T2*/HEMO T1 T1 MPR Ggf. Kontrastmittel T1 T1 T1 MPR postKM MRA (6 × 18) 7000 98 150 230 × 230 75 1120 3 15 230 × 230 75 4100 89 90 230 × 230 75 908 25,7 20 230 × 230 78,1 TR (ms): TE (ms): Flipwinkel (Grad): FOV (mm): Percent Phase FOV (%): Schichtdicke (mm): Schichtorien- tierung: Akquisitionszeit (min): DWI „diffusion-weighted imaging“ (diffusionsgewichtete Sequenz, B1000), FLAIR „fluid-attenuated inversion recovery“, FOV „field of view“, KM Kontrast- mittel, MIP „maximum intensity projection“, MPR multiplanare Rekonstruktion, MRA MR-Angiographie, PC „phase contrast“ (Phasenkontrastangiographie), TR Repetitionszeit, TE Echozeit Transversal, sagittal und koronar 03:35 1120 3 15 230 × 230 75 2,97 1,15 15 270 × 270 81,3 Transversal, sagittal und koronar 03:35 3D MPR + MIP 06:55 3D MPR + MIP Transversal Transversal Transversal 02:40 01:50 02:22 02:09 3,0 5,0 3,0 3,0 2,0 5,0 5,0 a m e h t t i e L Tab. 2 busalter. (Mod. nach [17]) Sequenz Signalgebung des Thrombus in der Magnetresonanztomographie (MRT) nach Throm- Frische Thrombose Iso- bis hypointens T1w nativ Hypointens T2w nativ Blooming SWI/T2*w Kein Flusssignal Venöse PCA Zentrale Aussparung Venöse TOF T1w 3D postKM Zentrale Aussparung KM Kontrastmittel, PCA Phasenkontrastangiographie, SWI „susceptibility-weighted imaging“, TOF Time-of-flight-Angiographie 1 Woche alte Throm- bose Hyperintens Hypointens Blooming Kein Flusssignal „Pseudofluss“ „Pseudoanreicherung“ 2–6 Wochen alte Throm- bose Hyperintens Hyperintens Blooming Kein Flusssignal „Pseudofluss“ „Pseudoanreicherung“ Beschwerdesymptomatik [12]. Generell ist bei Patienten mit CVST zu klären, ob er- worbene Risikofaktoren einer Thrombose gegeben sind (Tumorerkrankung, Infekt, Exsikkose, Einnahme von Steroiden usw.), und bei Frauen zusätzlich, ob die Einnah- me oraler Kontrazeptiva bzw. eine Schwan- gerschaft vorliegt. Bei unklarer oder ver- muteter kombinierter Ätiologie wird ei- ne Thrombophilie-Diagnostik empfohlen [12]: – heterozygote oder homozygote Faktor- V-Leiden-Mutation (10–25 % der Fälle), – heterozygote oder homozygote Prothrombin-Mutation G20210A, – angeborener Antithrombin-Mangel, – angeborener Protein-C- oder Protein- S-Mangel, – persistierend erhöhter Faktor VIII, – Antiphospholipid-Antikörper, – Hyperhomozysteinämie, – sehr selten Dysfibrinogenämien. Allgemeine Prinzipien bei DIC Eine schwere, sich rasch entwickelnde DIC wird durch den Nachweis einer Thrombo- zytopenie, einer verlängerten partiellen Thromboplastinzeit (PTT) und Prothrom- binzeit (PT), erhöhter Werte von Plasma-D- Dimer (oder Fibrinspaltprodukten) und ei- nes verminderten Fibrinogen-Plasmaspie- gels diagnostiziert. Vorgehen bei V. a. vakzininduzierte CVST Die Laboranforderung richtet sich zu- nächst nach der Graduierung des klini- schen Verdachts auf eine VI-CVST: modera- ter Verdacht oder hochgradiger Verdacht (. Infobox 1). 1. Laboranforderung bei moderatem Verdacht vor Indikationsstellung zur zerebralen Bildgebung: jBlutbild (Thrombozytenzahl!) jGerinnung (D-Dimere!) jEntzündungswerte (C-reaktives Protein [CRP], Leukozyten) → Bei Thrombozytopenie ergänzend Test auf EDTA-assoziierte Pseudothrombope- nie sowie ein manuelles Blutbild anfordern (mit Verweis auf AstraZeneca-Impfung) – dann wird im Labor auf Thrombozytenag- gregate im Blutausstrich (DIC) geachtet. → Bei normaler Thrombozytenzahl und normalen D-Dimeren Standard-MRT mit nativer Venendarstellung. Ansonsten immer zusätzlich kontrastmittelgestützte MR-Angiographie (oder CT-Angiographie) der intrakraniellen Venen! 2. Zusätzliche Laboranforderung bei Patienten mit hochgradigem Verdacht oder bildgebend nachgewiesener CVST: jHIT2-Screening (Blutbank-Labor, an vielen Kliniken 24/7 verfügbar) jImmunfixation (zum Ausschluss eines IgA-Mangels, s. unten) jThrombophilie-Diagnostik (s. oben) → Bei positivem HIT2-Screening Labor- untersuchung auf HIPA (heparininduzier- Der Radiologe 10 · 2021 925 Leitthema Abb. 1 9 Sulkale Subarachnoidal- blutung mit in der Magnetreso- nanztomographie (MRT) T2*w (a) hypointenser Zen- tralfurche, zart signalintens in T1w nativ (b), signalreich in FLAIRw (c) und hyperintens in der diffusionsgewich- teten Bildgebung (DWI) B1000 (d) te Plättchenaktivierung) und – falls HIPA negativ – modifizierter HIPA-Test („PIPA“- Test, transfusionsmedizinisches Labor der Universitätsmedizin Greifswald); erst ein positiver HIPA- oder PIPA-Test beweist die VITT [3]. → Bei positivem HIT2-Screening und bildgebend nachgewiesener CVST rasche Entscheidung zur Gabe von intravenösen Immunglobulinen (Cave: vorheriger Aus- schluss eines IgA-Mangels! [3]). Bildgebung der vakzininduzierten CVST Die radiologische Bildgebung bei Verdacht auf CVST ist etabliert [13–17]. Die kranielle Schnittbildgebung sollte auch schon bei moderatem Verdacht auf VI-CVST mit neu- rologischen Defiziten und/oder auffälliger Paraklinik (Thrombozytopenie, Thrombo- zytenabfall, D-Dimere – eher unzuverläs- sig) notfallmäßig erfolgen. Bei modera- tem Verdacht auf VI-CVST ohne Vorlie- gen neurologischer Defizite und unauffäl- liger Paraklinik (normale Thrombozyten- zahl, normale D-Dimere) sollte die Bild- gebung zeitnah, möglichst innerhalb vom 24 h veranlasst werden. Die Wahl der Me- thode – kranielle MRT (cMRT) oder kra- nielle CT (cCT) nativ und mit Kontrast- mittel (KM) – orientiert sich an ihrer Ver- fügbarkeit, dem Zustand des Patienten, ggf. bestehenden Kontraindikationen und der vorhandenen neuroradiologischen Ex- pertise. Bei nur moderatem Verdacht auf VI-CVST und unauffälligen Laborwerten stellt die cMRT die Methode der Wahl dar; die zunächst native Untersuchung soll- te jedoch bei suspekten und nicht ein- deutig interpretierbaren Befunden (siehe auch weiter unten Merksätze sowie „pit- falls“) durch eine KM-Applikation mit venö- ser Angiographie (CE-MRA) ergänzt wer- den. Alternative ist auch hier die cCT, die aber immer kontrastmittelgestützt mit ve- nöser Angiographie (venöser CTA) erfol- gen muss. Aufgrund der fehlenden Strah- lenexposition sollte die cMRT bei jünge- ren PatientInnen sowie in der Schwanger- schaft bevorzugt eingesetzt werden. Zu- dem erlaubt die cMRT die Abklärung eines breiteren differenzialdiagnostischen Spek- trums und kann auch kleinere Thromben direkt darstellen. Abb. 2 8 Thrombose im Bereich kortikaler Brückenvenen mit signalarmer Venendarstellung (Bloo- ming; Pfeil) in der Magnetresonanztomographie (MRT) T2*w (a, b) und fehlender Darstellung der be- troffenen Brückenvenen (Sternchen) in der Phasenkontrast-Angiographie (PCA; c, d), deutlicher in der kontrastmittelverstärkten MR-Angiographie (e, f) 926 Der Radiologe 10 · 2021 a m e h t t i e L Infobox 1 Infobox 2 Klinische Graduierung des Verdachts auf vakzininduzierte CVST Moderater Verdacht auf vakzininduzierte CVST – Nach Impfung neu aufgetretener und bis mindestens zum Tag 4 nach Impfung anhaltender oder am Tag 4–16 nach Impfung aufgetretener, isolierter Kopfschmerz Hochgradiger Verdacht auf vakzininduzierte CVST – Nach Impfung neu aufgetretener und bis mindestens zum Tag 4 nach Impfung anhaltender oder am Tag 4–16 nach Impfung neu aufgetretener Kopfschmerz in Kombination mit epileptischen Anfällen und/oder anderen zerebralen Symptomen und/oder Zeichen der DIC (s. Text) Standard-cMRT/venöse MRA In domo erhalten PatientInnen, die sich > 3 Tage nach Impfung mit der Astra- Zeneca-Vakzine mit Kopfschmerzen und sonst unauffälliger Neurologie vorstellen und im Labor weder eine D-Dimer-Erhö- hung noch eine Thrombopenie aufwei- sen, zeitnah eine native cMRT-Untersu- chung (. Tab. 1). Die T2-FLAIRw erlaubt die Abgrenzung und ggf. zeitliche Einord- nung entzündlicher, raumfordernder und ischämischer Hirnläsionen. Die T2*w ist eine T2-gewichtete Gradientenecho(GRE)- Sequenz, die zur Detektion von Desoxy- hämoglobin, Methämoglobin oder Hämo- siderin als indirekte Marker stattgehab- ter Blutungen/Blutablagerungen dient, so auch von atypischen Blutungen bei CVST. Prinzipiell ist an Stelle der T2*w auch die suszeptibilitätsgewichtete Sequenz (SWI) anwendbar. SWI nutzt Phaseninformati- on zur Kontrastverstärkung zwischen ver- schiedenen Geweben mit unterschiedli- chen Suszeptibilitäten und ist damit sensi- tiver als Standard-GRE-Sequenzen. Insbe- sondere das in den Venen reichlich enthal- tene und bei venöser Stase noch zuneh- mende Desoxyhämoglobin führt zu einem deutlichen Signalabfall, so dass mit SWI Thrombosen kortikaler Hirnvenen sehr gut detektiert werden. In der SWI-Darstellung Fallstricke in der radiologischen Diagnos- tik der CVST Anatomische Varianten: – Hypoplasie des Sinus transversus – Sinusduplikaturen – Pacchionische Granulationen – Pseudo-„Empty-delta“-Zeichen (hoher Confluens sinuum) Blutviskosität/Thrombose: – Frisches Thrombussignal gleicht Blutfluss- signal (MRT-T1w und T2w signalarm) – Pseudofluss durch hyperintenses Met- hämoglobin in TOF-MRA und kontrast- mittelverstärkter MRA (T1w signalreich ca. 1–6 Wochen) – Pseudovaskularisierung des Thrombus (ca. 1–6 Wochen) – Pseudothrombose bei erhöhtem Hämato- krit Aufnahmetechnik: – Dynamik der Kontrastmittelanflutung – „In-plane“-Flussauslöschung in der Phasenkontrast-MRA hängt das Thrombussignal von seinem Al- ter und der Degradation des Hämoglobins ab: In der akuten bis früh subakuten Phase zeigt sich die thrombosierte Vene deutlich hypointens mit Blooming-Artefakt (ver- dickt und massiv hypointens). Nach unse- rer Erfahrung detektiert die T2*w kortikale Venenthrombosen sehr sensitiv und hat gegenüber der SWI-Sequenz den Vorteil, dass thrombosierte und nichtthrombosier- te Venen leichter unterscheidbar sind (bei- de hypointens in SWI). Merke. Die MRT ist der CT überlegen in der Diagnostik der kortikalen Venenthrombo- se. Der Diffusionsbildgebung kommt u. a. Bedeutung in der Detektion einer Ischämie und der Diskrimination von zytotoxischem und vasogenem Hirnödem zu. Die zeitlich aufgelöste Phasenkontrast- Angiographie (PCA) dient der nativen Dar- stellungder venösenSinus.DiePCA beruht, im Gegensatz zur Time-of-flight(TOF-)An- giographie, auf phasenabhängigen T2-Ef- fekten. Grundlage sind zusätzlich geschal- tete Gradientenfelder, die eine Flusskodie- rung basierend auf dem Phasenverhalten bewegter Objekte ermöglichen. Kurzum: Das detektierte Signal bildet lediglich das aktuell perfundierte Gefäßsystem ab. Die PCA ist in der Diagnostik der kortikalen Ve- nen allerdings weniger aussagekräftig, zu- mal diese eine große inter- und intraindivi- duelle Variabilität aufweisen. Bei Vorliegen laborchemischer Auffälligkeiten (erhöhte D-Dimere, Thrombozytopenie) bzw. hoch- gradigem Verdacht auf VI-CVST wird an- stelle der PCA die kontrastmittelverstärkte MRA durchgeführt, da sie eine genaue- re Abbildung sowohl kleinerer Venen als auch der Sinus erlaubt [18, 19]. Die dazu verwendeten T1-Sequenzen zeigen Met- hämoglobin bereits nativ signalintens und liefern zudem den besten Kontrast für paramagnetische Kontrastmittel wie Ga- dolinium. Die in domo durchgeführten zeitlich aufgelösten 6 × 18 MR-Angiogra- phien basieren auf schnellen dreidimen- sionalen GRE-Techniken („fast low angle shot magnetic resonance imaging“, FLASH- MRT). Gegenüber der PCA oder TOF-MRA kann die Aufnahmedauer der kontrastmit- telverstärkten MRA deutlich verkürzt wer- den. Generell hat die T2*-Sequenz (und ggf. die SWI-Sequenz) die höchste Sensitivität in der Detektion von CVST (97 %), gefolgt von der T1-Sequenz (70–78 %), FLAIR-Se- quenz (40–50 %) und venöser MRA (43 %; [20, 21]). Diagnostische Fallstricke sind in . Infobox 2 zusammengestellt. Zeichen einer CVST in der MRT: – fehlendes „flow void“ (Signalaus- löschung) in betroffenen venösen Blutleitern, – Thrombussignal abhängig vom Throm- busalter und verwendeter Sequenz (. Tab. 2), – Parenchymläsion (Ödem, atypische Blutung, sulkale Blutung). Bei unauffälliger MRT, unauffälligem neu- rologischem Status sowie normaler Pa- raklinik (D-Dimere, Thrombozytenzahl) ist eine VI-CVST ausgeschlossen und i. d. R. die symptomatische Kopfschmerzbehand- lung ausreichend (ggf. nach Ausschuss an- derer Differenzialdiagnosen). Standard-cCT/venöse CTA Alternativ zur cMRT kann die cCT (obligat mit kontrastmittelverstärkter venöser CTA) herangezogen werden. Zum Ausschluss bzw. der Beurteilung größerer Raumfor- derungen und bereits kleiner Blutungen Der Radiologe 10 · 2021 927 Leitthema Abb. 3 8 Native kranielle Computertomographie (cCT) a mit hyperintensem Sinus transversus rechts (Sternchen), kontrastmittelverstärkte Magnetresonanztomographie (MRT) T1w b mit Thrombusdar- stellung (Sternchen), Phasenkontrast-Angiographie (PCA) c mit Flussauslöschung im rechten Sinus transversus (Sternchen) ist die cCT aussagekräftig. Atypisch ge- legene Blutungen können suggestiv für Sinusthrombosen im Rahmen der venö- sen Kongestion sein und werden ggf. mit- tels Kontrastmittel von malignomsuspek- ten Läsionen mit Perifokalödemen abge- grenzt. Zeichen einer CVST in der nativen cCT sind: – hyperdense Darstellung des Throm- busmaterials (in der betreffenden Vene als „dense vein sign“ bzw. im Sinus als „cord sign“), – Parenchymläsion (Ödem, Blutung). Merke. Eine unauffällige native CT schließt eine CVST nicht aus. Ein hyperdenser Sinus kann Hinweis auf einen Thrombus sein, wird aber auch z. B. bei erhöhtem Hämatokritwert und nach epileptischem Anfall gefunden. Zeichen einer CVST in der kontrastmit- telverstärkten cCT sind: – KM-Aussparung in betroffenen Sinus und Hirnvenen („empty delta sign“, „empty triangle sign“; Sensitivität ca. 30 %, wenig sensitiv für kortikale Venenthrombosen). Fallbeispiele 1. Fall: Sulkale Subarachnoidal- blutung Eine 65-jährige Patientin mit Hemihypäs- thesie rechts und latenter Armschwäche rechts gab leichte Kopfschmerzen und Wortfindungsstörungen an. Die cMRT zeigt eine umschriebene sulkale sub- arachnoidale Blutung links (. Abb. 1). 928 Der Radiologe 10 · 2021 Bei dieser Patientin wurde ursächlich ei- ne passagere Brückenvenenthrombose vermutet, diese war in der kontrastmittel- verstärkten MRA allerdings nicht (mehr) nachweisbar. Merke. Eine sulkale Subarachnoidalblu- tung kann Folge einer kortikalen Venen- thrombose sein, tritt aber auch bei der zerebralen Amyloidangiopathie und bei ei- nem reversiblen zerebralen Vasokonstrik- tionssyndrom auf. 2. Fall: Impfassoziierte Brücken- venenthrombose Die 25-jährige Patientin verspürte ab dem 12. Tag nach Impfung mit der AstraZeneca-Vakzine dauerhafte Kopf- schmerzen, Schmerzstärke 7/10. Zudem bestanden eine Photo- und Phonopho- bie mit Schwankschwindel, v. a. beim Aufstehen. Das richtungweisende bild- morphologische Korrelat einer kortikalen Venenthrombose war das Blooming in T2*w, mit Bestätigung der Venenthrom- bose in der MRA (. Abb. 2). Der Fall zeigt, dass es wichtig ist, bei der MRT auch den Vertex zu erfassen. Merke. Eine Flussauslöschung in der PC- MRA kann eine Thrombose vortäuschen. Flussartefakte der nativen MRA sind in der kontrastmittelverstärkten MRA verifi- zierbar. 3. Fall: Hyperdenser Sinus in der nativen cCT Bei dieser 22-jährigen Patientin war die hyperdense Darstellung des rechten Sinus transversus in der nativen cCT auffällig, die MRT bestätigte den Verdacht auf Si- nusthrombose (. Abb. 3). Merke. Die native cCT ist nicht geeignet zum Ausschluss einer CVST; das „cord sign“ des Sinus sagittalis superior hat eine niedri- ge Sensitivität (64 %) und Spezifität (97 %; [15]). 4. Fall: „Empty triangle“-Zeichen Eine 32-jährige Frau stellt sich mit Kopf- schmerzen und Sehstörungen vor. Die mul- timodale cMRT (. Abb. 4) zeigt eine aus- gedehnte Thrombose des Sinus sagittalis superior. Merke. Zu hyperdensen Gefäßen in der nativen cCT gibt es neben der Thrombose eine breite differenzialdiagnostische Palet- te anderer Ursachen. 5. Fall: Atypische Hirnparenchym- blutung Eine 68-jährige Patientin wird mit Vigi- lanzminderung und Hemiparese links in die Notaufnahme gebracht. In . Abb. 5a, b kommen Blutungen in der cCT und der MRT-T2*w zur Darstellung. Blutungsursa- che war eine Thrombose im Sinus sagittalis superior von ca. 3 cm Länge. 6. Fall: Vasogenes Hirnödem Eine 21-jährige Patientin stellt sich wegen holozephaler Kopfschmerzen seit 1 Woche und einer seit dem Vorabend bestehen- den Feinmotorikstörung der rechten Hand vor. Die MRA zeigte eine längerstreckige Thrombose des Sinus sagittalis superior. Die Diffusionssequenzen zeigen sowohl ein vasogenes als auch ein zytotoxisches Hirnödem parietal links (. Abb. 5c, d). Merke. Vasogenes und zytotoxisches Ödem können bei der CVST nebeneinan- der auftreten. Zur Differenzierung sind die ADC-Parameterkarten der DWI-Sequenz hilfreich. 7. Fall: Innere Hirnvenenthrombose Eine 43-jährige Patientin litt seit 3 Tagen unter Kopfschmerzen. Am Aufnahmetag kam es zu einer deutlichen Verstärkung der Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Somnolenz. Die cCT mit CTA zeigte eine kombinierte Thrombose der Venae a m e h t t i e L Infobox 3 Infobox 4 Infobox 5 Indikationen zur Aufnahme auf die Intensivstation bei VI-CVST – Raumfordernde Stauungsinfarkte/- blutungen – Hirnödem – Bewusstseinsminderung – Epileptische Anfallsserien bis hin zum Status epilepticus – Klinische bzw. laborchemische Zeichen der disseminierten intravasalen Gerinnung – Kardiopulmonale Instabilität internae sowie des Sinus rectus cerebri und Sinus sagittalis inferior (. Abb. 6). Merke. Bei Cephalgie mit Vigilanzminde- rung kann eine innere Hirnvenenthrom- bose vorliegen. In der nativen cCT hat die hyperdense Darstellung der inneren Hirnvenen („dense vein sign“) eine hohe Sensitivität (100 %) und Spezifität (99 %) für deren Thrombose [15]. Therapie der vakzininduzierten CVST Präklinik Bei Verdacht auf eine VI-CVST oder Vor- liegen petechialer Hautblutungen ist die notfallmäßige Klinikeinweisung indiziert. Bei klinisch unklarer Bewertung (bei am- bulanter Vorstellung) sollte das Blutbild kontrolliert werden – im Fall einer Throm- bozytopenie ist dann die sofortige Klinik- einweisung indiziert [22]. Akutbehandlung Bei gesicherter VI-CVST erfolgt die Behand- lung wegen des potenziell foudroyanten Verlaufs in den ersten Tagen auf der Stroke Unit oder, bei schwerem Verlauf (. Infobox 3), auf der (Neuro-)Intensivsta- tion mit regelmäßiger neurologischer Überwachung. Die allgemeinen Maßnah- men folgen den Leitlinien zur Therapie jeglicher CVST [12]. Die besonderen Maß- nahmen bei VI-CVST werden nachfolgend dargelegt. Bei VI-CVST in Kombination mit einer Thrombopenie erfolgt noch vor Erhalt des Ergebnisses des HIT2-Screenings die sofor- tige Antikoagulation mit einem bei HIT2 zugelassenen Präparat, vorzugsweise mit Antikoagulation bei VI-CVST Argatroban (z. B. Argatra®) Therapieeinleitung: – 2 μg pro kg Körpergewicht pro Minute intravenös als Perfusor – Dosisreduktion bei Leberinsuffizienz und kritisch Kranken (0,5 μg/kgKG/min) Fortführung der Therapie: – Anpassung der Dosis nach PTT → Ziel: 1,5- bis 3,5-fache PTT (60–100 s) – Maximale Therapiedauer 14 Tage (keine klinische Erfahrung längerer Anwendungen) Danaparoid (z. B. Orgaran®) Therapieeinleitung: – 2250 Anti-Xa-Einheiten als Bolus (3 Injek- tionslösungen á 750 E Anti-Xa-Einheiten) – Nach dem Initialbolus und vor der Erhaltungsdosis zunächst 400 Einheiten in 4 h, dann 300 Einheiten in 3 h, in der Folge die Erhaltungsdosis geben Fortführung der Therapie: – Erhaltungsdosis 150–200 Anti-Xa- Einheiten/h i.v. über 5–7 Tage (Steuerung nach Anti-Xa-Zielwerten: 0,5–0,8 Anti-Xa IE/ml) – Im Verlauf Umstellung auf subkutane Gabe möglich: 1250 Anti-Xa-Einheiten 1-0-1, ggf. auch 1-1-1, Anti-Xa-Ziel 0,5–0,8 IE/ml – Reduktion auf 750 Anti-Xa-Einheiten 1-0-1 bei Beginn der Anschlusstherapie mit einem Vitamin-K-Antagonisten – Maximale Therapiedauer 14 Tage, länger nur wenn keine therapeutische Alternative Argatrobanoder Danaparoid (. Infobox 4). Bei negativem HIT2-Screening ist nicht mehr von einer VITT auszugehen, und es kann auf die gewichtsadaptierte Gabe (therapeutische Dosis) eines niedermo- lekularen Heparins umgestellt werden. Im Fall des positiven HIT2-Screeningtests besteht der Verdacht auf VITT, und es wird die Antikoagulation gemäß . Infobox 4 fortgeführt. Zudem ist dann rasch über die Gabe hoch dosierter intravenöser Immun- globuline (IVIG) zu entscheiden [3, 23]. Die GTH empfiehlt eine Dosis von jeweils 1 g/kg Körpergewicht an Tag 1 und Tag 2 (Cave: zuvor Ausschluss eines IgA-Man- gels; Infusionsgeschwindigkeit ≤ 10 g/h; [3]). Das Wirkprinzip der IVIG bei immuno- gener thrombogener Thombozytopenie ist in . Infobox 5 aufgeführt [3, 23, 24]. Bei fehlendem Ansprechen auf IVIG kommen Plasmapherese und evtl. weitere immun- suppressive Therapien in Betracht [25]. Bei Wirkung der intravenösen Immunglobuli- ne bei VITT Pathomechanismus der VITT: – Stimulation der Bildung pathogener Antikörper gegen Plättchenfaktor-4 (PF4)/ Polyanion-Komplexe (ausgelöst durch Oberflächenantigen des viralen Vektors? Ausgelöst durch andere Bestandteile der Vakzine?) – Bindung dieses Antikörpers an den Fc- Rezeptor FcγIIa auf den Thrombozyten – Vernetzung des Fc-Rezeptors durch Antikörper-PF4/Polyanion-Komplexe führt zur Thrombozytenaktivierung – Durch Thrombozytenaktivierung Verstär- kung der Thrombinbildung und damit des prokoagulatorischen Syndroms Wirkung der IVIG: – Kompetitive Inhibition der Interaktion der VITT-Antikörper mit dem Fc-Rezeptor auf den Thrombozyten – Dadurch Reduktion der Thrombozy- tenaktivierung und der intravasalen Thrombusbildung – Sekundäre Normalisierung (Wiederan- stieg) der Thrombozytenzahl im Blut stabilisierter Gerinnungssituation ist im Fall eines deutlich raumfordernden Hirn- ödems eine Dekompressionskraniotomie zu erwägen [12]. Die neuroradiologische Intervention mit langsamer Fibrinolyse- behandlung des Thrombus von arterieller Seite über einen Mikrokatheter, ggf. in Kombination mit transvenöser mechani- scher Rekanalisation, z. B. mittels eines Absaugkatheters, ist aufgrund der negati- ven Ergebnisse der TO-ACT-Studie derzeit nicht generell zu empfehlen [26]. Ande- rerseits haben wir bei einer VITT der A. ca- rotis interna mit sekundär-embolischem Hauptstammverschluss der A. cerebri media (ohne Thrombozytopenie) einen sehr guten Verlauf nach systemischer [27], Thrombolysetherapie beobachtet so dass eine lokale Fibrinolysebehand- lung eine Option in verzweifelten Fällen der VI-CVST sein könnte. Je nach Verlauf und Blutungsrisiko (Normalisierung der Thrombozytenzahl!) kann die parenterale Antikoagulation nach 1–2 Wochen auf eine orale Antikoagulation mit einem Vitamin-K-Antagonisten (z. B. Falithrom, Marcumar) umgestellt werden [28]. Alter- nativ kommt insbesondere bei kleinerer VI-CVST, nach Ausschluss eines Antiphos- [29], die pholipid-Antikörper-Syndroms Der Radiologe 10 · 2021 929 Leitthema Abb. 4 9 Thrombose des Sinus sagittalis superior kombiniert mit Verschlüs- sen der kortikalen Venen (Brückenvenen). Native kranielle Computertomo- graphie (cCT; a), Magnetre- sonanztomographie (MRT) T2*w (b), native T1w (c), native Phasenkontrast-An- giographie (PCA; d) und kontrastmittelverstärkte T1w (e, f) mit Empty-trian- gle-Zeichen (kontrastmit- telumspülter Thrombus) in e wissenschaftliche Fallsammlungen auf na- tionaler und europäischer Ebene initiiert worden. Alle neurologischen Kliniken in Deutschland waren von der Deutschen Ge- sellschaft für Neurologie (DGN) aufgefor- dert, Fälle von VI-CVST, intrazerebralen Blu- tungen oder zerebralen Ischämien in zeit- lichem Zusammenhang mit einer COVID- 19-Impfungzu melden; bis MitteApril 2021 wurden Daten von über 60 PatientInnen gesammelt, die sich aktuell in Auswertung befinden und zeitnah publiziert werden. Eine Zweitimpfung mit einem adeno- virusbasierten Vektorimpfstoff nach einer VI-CVST ist kontraindiziert. Es sollte dann eine fachinternistische impfärztliche Bera- tung und Entscheidung über evtl. Booster- Impfung mit einem RNA-Impfstoff erfol- gen. Die Dauer der oralen Antikoagulation ist mit 4–12 Monaten anzusetzen. Vor Ab- setzen kann eine Kontrolle der Serum-IgG- Antikörper gegen PF4/Polyanion-Komple- xe erwogen werden, da mit relevanten An- tikörpertitern über mindestens etwa 100 Tage zu rechnen ist. Aktualisierte Emp- fehlungen der medizinischen Fachgesell- schaften zur Akut- und Nachbehandlung der VI-CVST sollten berücksichtigt werden. Abb. 5 9 Native kranielle Compu- tertomographie (cCT; a) und Ma- gnetresonanzto- mographie (MRT) T2*w (b) zeigen bi- laterale Hirnblutun- gen bei Thrombo- se des parietalen Abschnitts des Si- nus sagittalis supe- rior. Bei langstre- ckiger Thrombose im Sinus sagittalis superior (anderer Fall) zeigt die DWI- B1000-Sequenz (c) vasogenes und zy- totoxisches Ödem hyperintens, die ADC-Sequenz (d) vasogenes Ödem hyperintens und zy- totoxisches Ödem hypointens Einstellung auf Dabigatran in Betracht [30]. Meldeverfahren und Nachsorge Fälle von VITT sind bei dem Paul-Ehrlich- Institut (PEI) meldepflichtig, zudem soll- te auch der pharmazeutische Hersteller informiert werden. Darüber hinaus sind 930 Der Radiologe 10 · 2021 a m e h t t i e L Abb. 6 8 Native kranielle Computertomographie (cCT; a, b) bei akuter innerer Hirnvenenthrombose: Stauungsblutungen und hyperdense Vv. cerebri internae beidseits (Pfeil). Die Zeichnung (c) zeigt die Anatomie der inneren Hirnvenen. (Aus [15]). Nach 3 Wochen zeigt die cCT (d) keine venöse Hyperdensität mehr. Native cMRT(e, f) am Aufnahmetag: Stauungsödem in FLAIRw undStauungsblutungensowie thrombosierte innere HirnveneninT2*w.Kontrastmittelverstärkte MRA(g):Verschluss von Sinus sagittalis inferior, Vv. cerebri internae, Vena Galeni und Sinus rectus. Die thrombosierten Sinus und Venen sind in (h) Blau nachgezeichnet Fazit für die Praxis 4 Leitsymptom der VI-CVST ist der Kopf- schmerz mit Beginn 4–24 Tage nach Imp- fung. Auch erstmalige Krampfanfälle, Seh- störungen, fokal-neurologische Sympto- me und Zeichen des erhöhten Hirndrucks sind möglich. 4 Bei Verdacht auf VI-CVST ist die Kontrolle von D-Dimeren, Thrombozytenzahl und ein HIT2-Screening therapeutisch rich- tungsweisend. 4 Methode der Wahl zur Bestätigung bzw. Ausschluss der CVST ist die MRT mit ve- nöser MRA. In T2*-/SWI-Sequenzen verur- sacht der Thrombus Suszeptibilitätsarte- fakte, die zur ausgeprägten Signalauslö- schung führen (Blooming). 4 MRT/MRA sowie CT/CTA können die Dia- gnose in Synopse mit den klinischen und Laborbefunden meist zuverlässig stellen. 4 Die VI-CVST erfordert bei Thrombozy- topenie und/oder Nachweis der patho- genen Antikörper gegen PF4/Polyanion- Komplexe spezifische Therapien zur Anti- koagulation und Immunmodulation. Korrespondenzadresse Prof. Dr. Uwe Walter Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsmedizin Rostock Rostock, Deutschland uwe.walter@med.uni-rostock.de Danksagung. Die Recherche zu dieser Arbeit erfolg- te mit Unterstützung des BMBF (SASKit Studie, FKZ 01ZX1903A). Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt. U. Walter, E. Volmer, M. Wittstock, A. Storch, M.-A. Weber und A. Großmann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Literatur 1. Robert-Koch-Institut (2021) Beschluss der STIKO zur 4. Aktualisierung der COVID-19-Impfemp- fehlung und die dazugehörige wissenschaftliche Begründung. https://www.rki.de/DE/Content/ Infekt/EpidBull/Archiv/2021/16/Tabelle.html; jsessionid=C5BDD05E44D5BCBC06D9D3C89B84 CF0C.internet071?nn=2371176 (Erstellt: 8. Apr. 2021). Zugegriffen: 25. Apr. 2021 2. 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Results: VI-CVST usually manifests on day 4–24 after vaccination, mostly in individuals aged < 60 years, and women. In the majority there is an immune pathogenesis caused by antibodies against platelet factor 4/polyanion complexes, leading to thrombotic thrombocytopenia which can result in severe, sometimes fatal, course. The cardinal symptom is headache worsening within days which, however, also can be of variable intensity. Other possible symptoms are seizures, visual disturbance, focal neurological deficits and signs of increased intracranial pressure. If VI-CVST is suspected, the determination of plasma D-dimer level, platelet count, and screening for heparin- induced thrombocytopenia (HIT-2) are essential for treatment decision-making. Magnetic resonance imaging (MRI) with venous MR-angiography is the neuroimaging modality of choice to confirm or exclude VI-CVST. On T2* susceptibility-weighted MRI, the clot in the sinuses or veins produces marked susceptibility artifacts (“blooming”), which also enables the detection of isolated cortical venous thromboses. MRI/MR- angiography or computed tomography (CT)/CT-angiography usually allow—in combination with clinical and laboratory findings—reliable diagnosis of VI-CVST. Conclusions: The clinical suspicion of VI-CVST calls for urgent laboratory and neuroimaging workup. In the presence of thrombocytopenia and/or pathogenic antibodies, specific medications for anticoagulation and immunomodulation are recommended. Keywords SARS-CoV-2 · Vaccination complications · Magnetic resonance imaging · Vaccine-induced thrombotic thrombocytopenia · Intravenous immunoglobulins 25. Patriquin CJ, Laroche V, Selby R et al (2021) Therapeutic plasma exchange in vaccine-induced immune thrombotic thrombocytopenia. N Engl J Med. https://doi.org/10.1056/NEJMc2109465 26. 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