• Start
  • Werke
  • Einführung Anleitung Mitarbeit Sponsoren / Mitarbeiter Copyrights Kontakt Impressum
Bibliothek der Kirchenväter
Suche
DE EN FR
Werke Gregor von Nyssa (335-394) De oratione dominica orationes v. Das Gebet des Herrn (BKV)
Erste Rede

V

„Aber“, wendet jemand ein, „manche haben doch schon Ämter, Ehren- und Wohlstand erlangt, weil sie darum gebetet hatten, und durch derartiges Glück wurde sogar die Meinung hervorgerufen, daß sie Lieblinge Gottes seien. Willst du also“, heißt es weiter, „uns abhalten, um derartige Dinge unsere Gebete vor Gott zu bringen?“ Doch hört! Daß alles vom göttlichen Ratschluß abhängt und das Leben hier unten von oben aus regiert wird, ist jedem klar, und niemand dürfte dem widersprechen; aber hinsichtlich solcher Gebetserfolge haben wir andere (als irdische) Ursachen kennengelernt. Gott gewährt nämlich diese Dinge nicht als ob sie durchaus gut wären den Bittenden, sondern in der Absicht, daß durch sie bei den oberflächlicheren Naturen das Vertrauen auf Gott gefestigt werde, nämlich allmählich dadurch, daß wir in den niedrigeren Angelegenheiten die Erfahrung machen, wie Gott die Gebete erhört, und daß wir so schließlich zur Sehnsucht nach den hohen, Gottes wahrhaft würdigen Gaben gelangen. Ähnliches sehen wir auch an unseren Kindern! Eine Zeitlang hängen sie einzig an der Mutterbrust, wobei sie nur soviel, als ihre Natur verträgt, bei der Mutter suchen; wenn aber das kleine Kind allmählich größer wird und einige Fähigkeit zu sprechen gewinnt, so verschmäht es die Brust und fängt an, anderes zu wünschen, etwa ein Bändchen für das Haar, ein Kleid und derlei Dinge, an denen sich ein Kindesauge ergötzt; wenn es aber erwachsen ist und der Verstand mit dem Leibe zugenommen hat, dann wird es alle kindischen Wünsche von sich weisen und von den Eltern nur mehr solche Dinge erbitten, die dem reifen Lebensalter entsprechen. So verfährt auch Gott. In dem Bestreben, die Menschen durch alles daran zu gewöhnen, ihn selbst zu verlangen und zu suchen, verschließt er oft auch wertloseren Bitten nicht sein Ohr, um durch seine Güte in Kleinigkeiten den Empfänger der Wohltat zum Verlangen nach den höheren Gütern emporzuheben. Auch du also bedenke, wenn der oder jener durch die göttliche Vorsehung aus der Menge der gewöhnlichen Sterblichen herausgehoben wurde und zu Ruhm und Ansehen gelangte oder sonst ein von den Menschen begehrtes Glück erwarb wie Macht, Reichtum, Achtung ― bedenke wohl den Zweck, den Gott mit solcher Freigebigkeit verfolgt, nämlich, daß dir seine Güte in diesen Dingen ein Beweis seiner großen Macht werde, damit du, durch das Gewähren dieser kindischen Spielereien belehrt, auch um Größeres und Vollkommeneres deine Bitten vor den Vater bringst, d. h. um das, was der Seele nützt.

Welch’ ein Unverstand; vor Gott hintreten und von dem Ewigen verlangen das Zeitliche, von dem Himmlischen das Irdische, von dem Höchsten das Niedrige, von ihm, der das Königreich der Himmel zu verschenken hat, armseliges Erdenglück, von ihm, der Unverlierbares verleihen kann, den kurzen Gebrauch von Dingen, deren Genuß rasch vergeht, deren Verwaltung gefährlich ist! Treffend bringt der Herr das Ungereimte derartiger Bitten zum Bewußtsein durch den Zusatz „wie die Heiden“. Nur auf das Sichtbare allen Fleiß verwenden ist denen eigen, die keine Hoffnung auf das künftige Leben sich zu Gemüte führen, keine Furcht vor dem göttlichen S. 102 Gerichte, keine Androhung der Hölle, keine Erwartung ewiger Güter, überhaupt nichts, was auf Grund der Auferstehung gehofft wird, ihnen, die wie das liebe Vieh nur auf das gegenwärtige Leben schauen und als höchstes Gut betrachten, dem Trunke, der Völlerei und den übrigen sinnlichen Lüsten frönen zu können, den ersten Platz oder wenigstens einen hohen Rang unter den (aus Ber.: lies „den“ statt „der“) Menschen einzunehmen, Reichtümer zu hüten oder sonst einer Täuschung des Lebens sich hinzugeben. Redet einer diesen gegenüber von der künftigen Hoffnung, so dünkt er ihnen mit seinen Darlegungen über Paradies, Reich Gottes, Wohnung im Himmel usw. geradezu als Schwätzer. Nachdem es also denen bloß, die keine Hoffnung auf Überirdisches haben, eigen ist, ausschließlich am gegenwärtigen Leben zu hängen, so bezeichnet das Wort treffend die Hingabe an ganz irdische, eitle Wünsche, deren Erfüllung die Genußsüchtigen durch das Gebet für sich zu erreichen wähnen, als Sache der Heiden, die da glauben, sie würden wegen dringenden Betens um jene albernen Dinge Gott als Helfershelfer zu Törichtem und Unnützem gewinnen. „Sie glauben nämlich,“ heißt es, „sie würden wegen ihres Plapperns Erhörung finden“ (Mark. 6, 7).

Unsere bisherige Ausführung zeigte, um was wir nicht bitten sollen1. Wie aber tatsächlich die Bitten beschaffen sein müssen, die wir Gott vortragen, werden wir in den folgenden Darlegungen hören mit der Gnade unseres Herrn Jesu Christi, dem Ehre und Macht sei von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.Zweite Rede: „Vater unser, der du bist in dem Himmel!“


  1. Nach der wahrscheinlicheren Lesart: ἃ δεῖ μὴ αἰτεῖν [ha dei mē aitein]; (Böhl. S. 227). M. hat: ἃ δεῖ γινώσκειν [ha dei ginōskein] = welche Auffassung wir hierüber haben sollen. ↩

pattern
  Drucken   Fehler melden
  • Text anzeigen
  • Bibliographische Angabe
  • Scans dieser Version
Download
  • docxDOCX (71.28 kB)
  • epubEPUB (56.94 kB)
  • pdfPDF (209.34 kB)
  • rtfRTF (155.81 kB)
Übersetzungen dieses Werks
Das Gebet des Herrn (BKV)
Kommentare zu diesem Werk
Einleitung zur Schrift: „Über das Gebet (des Herrn)"

Inhaltsangabe

Theologische Fakultät, Patristik und Geschichte der alten Kirche
Miséricorde, Av. Europe 20, CH 1700 Fribourg

© 2023 Gregor Emmenegger
Impressum
Datenschutzerklärung