• Start
  • Werke
  • Einführung Anleitung Mitarbeit Sponsoren / Mitarbeiter Copyrights Kontakt Impressum
Bibliothek der Kirchenväter
Suche
DE EN FR
Werke Augustinus von Hippo (354-430) Sermones Einleitung: Gott ist die Liebe. Die Predigten des Hl. Augustinus über den 1. Johannesbrief

Zur Einführung

S. 1Die vorliegenden Predigten über den ersten Johannesbrief dürfen den Anspruch darauf erheben, mit unter die kostbarsten Perlen augustinischen Schrifttums und augustinischer Theologie gezählt zu werden. Für den, der die Eigenart der Theologie des heiligen Lehrers von Hippo nicht kennt, mag es überraschend sein, daß Predigten, die er an das Volk und für das Volk hielt, als „Theologie“, gar als ein Höhepunkt augustinischer Theologie bezeichnet werden. Daß dieses Urteil dennoch zu Recht besteht, zeigt zunächst die Beobachtung, daß es Augustinus (wie übrigens den meisten der Väter) bei seiner Theologie nicht in erster Linie um eine streng wissenschaftliche, systematische Zusammenschau und schulmäßige Bearbeitung der christlichen Glaubenslehre zu tun war, sondern daß seine theologische Bemühung in dem überwiegenden Teil seines Lebenswerkes durchaus im Dienst seiner seelsorgerlichen Aufgabe, der Belehrung der Gläubigen und der Zurückweisung der Zeitirrtümer, stand. Wenn man neuerdings von der streng wissenschaftlichen Schultheologie eine eigentliche „Verkündigungs“- oder „Seelsorgs“theologie unterscheidet,1 so kann kein Zweifel sein, daß Augustinus S. 2ein Ehrenplatz in der Geschichte dieser zusteht. Was dieser Art theologischer Besinnung an systematischer Geschlossenheit mangelt, das macht sie überreich wett durch ihre Verbundenheit mit dem flutenden Glaubensleben, die es nicht zu dem heute oft beklagten, fast beziehungslosen Nebeneinander von wissenschaftlicher Theologie und seelsorgerlicher Praxis, aber auch nicht zu der andern gleich beklagenswerten Scheidung zwischen theoretischer Glaubensbelehrung und moralischer Unterweisung kommen läßt. Die Erkenntnis der christlichen Wahrheit und die Forderungen des religiös - sittlichen Lebens bilden für diese Betrachtung eine unlösbare Einheit und können sich so dauernd gegenseitig befruchten, bilden aber eben darum in dieser Einheit auch die selbstgegebene Grundlage für die Unterweisung des christlichen Volkes.

Ausdruck und Niederschlag einer solch lebensnahen und religiös fruchtbaren Verkündigungstheologie sind die Predigten Augustins, die in erstaunlich großer Zahl auf uns gekommen sind. In der Sammlung dieser mehrere Bände füllenden Predigten aber nehmen die hier übersetzten über den 1. Johannesbrief insofern eine einzigartige Stellung ein, als sie wie eine auf engsten Raum gedrängte und in schlichteste Form gebrachte Summa sowohl die formale wie die inhaltliche Eigenart augustinischer Theologie widerspiegeln und, ungeachtet aller Zeitgebundenheit im einzelnen, in vielem Ausdruck einer zeitüberdauernden, für jede Verwirklichung S. 3christlicher Existenz wegweisenden christlichen Grundhaltung sind. In formalem Betracht ist die augustinische Predigt- Theologie, wenn wir hier von ihrem bloßen Sprachkleid absehen, dadurch gekennzeichnet, daß sie wesentlich auf der Heiligen Schrift aufbaut, im Grunde gar nichts anderes als Auslegung der Schrift sein will, daß sie sich dabei aber nie in der Erörterung des unmittelbaren Wortsinnes einer Schriftstelle erschöpft, sondern deren Sinndeutung aus dem Ganzen des christlichen Glaubensverständnisses heraus zu gewinnen sucht, so wie es in der Lehre der Kirche vorliegt, und daß sie so das Gotteswort gerade für ihre Gegenwart fruchtbar machen will. Wie sollte es auch anders sein können, wo der Glaube an das Wort der Schrift als an das auf Eingebung des Heiligen Geistes geschriebene Wort Gottes und der Glaube zugleich an die mit der Verkündigung dieses Gotteswortes beauftragte Kirche ungebrochen ist?2 In der Schrift sieht Augustinus die eigentliche Erlösungsurkunde der Christenheit, einen Brief gleichsam aus der himmlischen Heimat an die auf Erden pilgernde Bürgerschaft des Gottesstaates. Es ist klar, daß dieser göttliche Ursprung ihr eine unvergleichliche Autorität verleiht, die Irrtumslosigkeit ihres Inhaltes verbürgt und sie zum Ausgangspunkt der gesamtkirchlichen Lehrverkündigung erhebt. Wenn die Kirche die Mutter der Gläubigen ist, dann sind die Heiligen Schriften des Alten und Neuen Bundes nach einem Bild unserer Predigten ihre „Brüste“, aus denen ihre Kinder die Milch der S. 4wahren Lehre trinken. Gerade in der Schrift mit ihrer Schilderung der sichtbaren Heilsveranstaltungen Gottes in der Geschichte enthüllt sich uns ja (neben dem sakramentalen Wirken der Kirche) die Weisheit der göttlichen Pädagogik, die den gefallenen, in der Welt der Sinnlichkeit verstrickten Menschen auf dem Umweg über das Sichtbare, Anschauliche zur ewigen, geistig-unsichtbaren Wahrheit Gottes und seines Logos emporführen will. Wie die Schale einer Weinbeere den kostbaren Saft der Traube umschließt und verbirgt, so ist das Schriftwort die sichtbare Hülle einer geistig-unsichtbaren Wirklichkeit, deren innere Aneignung in Glaube, Hoffnung und Liebe die höchste Aufgabe des Menschen bleibt, eine Aufgabe, für die auch die Schrift nur ein Mittel sein will. Bei aller Einfachheit des auch dem schlichtesten Gläubigen zugänglichen Schriftwortes ist der darin beschlossene und niedergelegte Sinn so tief, daß der erleuchtetste Mensch ihn in lebenslanger Bemühung nicht auszuschöpfen vermöchte, und sind zugleich ihre Dunkelheiten so groß, daß jeder bei ihrer Erklärung sich in gläubigem Vertrauen auf die Lehre der von ihrem Haupte Christus durchlebten und geleiteten Kirche stützen muß.

Es ist ja überhaupt nicht so, als ob Schrift und Kirche unabhängig nebeneinander stünden oder als ob der einzelne Gläubige den Offenbarungsinhalt durch das Studium der Schrift unter Absehung von der Kirchenlehre jeweils erst selbst erkunden müßte, sondern die Lehre der Kirche, die Christi Leib und die berufene Verkünderin seiner Wahrheit ist, bietet diesen Inhalt bereits dar. Erst auf dem Hintergrund der gesamten kirchlichen Lehre und im Lichte der S. 5Wahrheit, daß die Kirche Christi Leib und darum selbst der Zielpunkt vieler Schriftaussagen ist, wird die Lesung der Schrift wahrhaft fruchtbar und bleibt ihre Deutung vor wesentlichen Irrtümern bewahrt. Das ist das zweite, was Augustins Predigt-Theologie nach der formalen Seite hin charakterisiert: daß sie, obgleich fast immer Erklärung einzelner Schriftstellen, doch stets aus seiner religiös-gläubigen Gesamthaltung herauswächst, daß sie das einzelne stets in seiner Beziehung zur christlichen Gesamtverkündigung sieht. Gerade dieser Umstand sichert dem Lebenswerk Augustins und auch noch seinen für Hörer einer andern Zeit und anderer Verhältnisse bestimmten Predigten die überzeitliche Bedeutung, weil er darauf drängt, alles einzelne in seiner Beziehung zum Wesen des Christentums zu sehen und so die religiöse Lebenskraft der christlichen Wahrheit in ihren letzten Quellgründen begreiflich zu machen.

Was ist dieses Wesentliche des Christentums für Augustinus nach seiner inhaltlichen Seite? Die nachfolgenden Predigten, die er, auf dem Höhepunkt seiner bischöflichen Wirksamkeit und seines geistigen Lebens stehend, hielt, geben darauf eine klare und eindeutige Antwort. Es ist nicht notwendig, ihren Inhalt schon in der Einführung im einzelnen vorwegzunehmen. Aber so viel darf gesagt werden: Weil das eigentliche Thema dieses Briefes die Liebe ist, die in Gott wurzelt und den Menschen in Christus ergreift, darum kann es gar nicht anders sein, als daß bei seiner Erklärung die wesentlichen Grundpositionen augustinischer Theologie sichtbar werden. Könnte man doch Augustins Theologie selbst eine Theologie der Liebe nennen: der Reichtum der die S. 6drei göttlichen Personen durchflutenden Liebe macht den Inhalt ihres göttlichen Lebensgeheimnisses aus; die Schöpfung ist ein schwacher Schattenriß dieses göttlichen Liebesreichtums. Im besonderen ist der Drang nach Liebe so tief im Wesen des Menschen verwurzelt, daß die Güte seines Handelns wie der Wert seiner Person sich nach der Höhe seiner Liebe bestimmt.3 Weltliebe und Gottesliebe sind es, die letztlich um den Menschen streiten; da im Grunde nur die Hingabe an Gott, nicht aber das Verlangen und die Sucht nach der Welt wahre Liebe ist, kann Augustinus als die höchste Norm des sittlichen Handelns die Forderung aufstellen: „Liebe! und tu, was du willst!“, ein Grundsatz, der selbstredend nicht einem haltlosen ethischen Subjektivismus das Wort sprechen will, sondern nur die Gewißheit besagt, daß, wer Gott wahrhaft liebt, aus innerem Drang nicht anders als nach den Geboten seines Willens handeln kann, daß also für einen solchen Menschen die Spannung zwischen sittlicher Heteronomie und Autonomie gelöst ist. Aus der Tatsache, daß des Menschen letzte Liebe Gott allein gelten darf, und daß anderseits die Schöpfung in einer Liebestat Gottes gründet, ergibt sich von selbst auch die rechte Stellung zur Welt. Gerade in den hier vorgelegten Predigten wird es deutlich, daß Augustins Ideal nicht einfachhin weltflüchtig ist und daß er die platonische Abwertung des Sinnlichen nicht vollkommen teilt, sondern eine Ordnung der Liebe anstrebt, die einen maßvollen Gebrauch der irdischen Güter nicht verwehrt, die aber über dem Zeitlichen niemals das Ewige, über dem Geschöpf S. 7niemals den Schöpfer, über der Gabe niemals den Geber vergißt. Das will seine immer wieder erhobene Forderung besagen, daß man die irdischen Dinge zwar gebrauchen, aber nicht in ihnen ruhen dürfe. Die Liebe des auf Gott hin geschaffenen Menschen darf sich nicht mit den Geschöpfen begnügen, sondern muß sich stets den Blick auf Gott hin frei halten.Weil die Sünde im Grunde nichts anderes ist als das Herausfallen des Menschen aus der Liebesgemeinschaft mit Gott und die Verstrickung in die Liebe zur Welt, darum muß auch ihre Überwindung durch die Erlösung wesentlich in der neugeschenkten Liebe zu Gott bestehen. In einzigartiger Tiefe zeigt Augustinus hier, wie diese Liebe gleich den Gliedern einer fest ineinander gefügten Kette von Gott dem Vater auf seinen göttlichen Sohn und dessen menschliche Natur und von diesem auf die Gemeinschaft der mit ihm zu einem Leibe Verbundenen überströmt, wie sie alle Gläubigen durchherrscht und zur Einheit bindet und von den Gliedern über das Haupt wieder zum Vater emporsteigt. Ihre sichtbare Verwirklichung findet die neue universale Liebesgemeinschaft in der katholischen Kirche, die der Kirchenlehrer als „Einheit der Liebe“ feiert, die zusammen mit dem Haupte „unus Christus amans se ipsum — der eine in Liebe zu sich entbrannte Christus“ ist.4 So überwältigend ist für Augustinus der Eindruck dieser sichtbar-unsichtbaren Liebesgemeinschaft aller mit dem Vater durch Christus in der Kirche, daß er glaubt, seit Christus gebe es eine Teilnahme an der unsichtbaren Liebesgemeinschaft S. 8nur dort, wo auch die Verbundenheit mit der sichtbaren Kirche gegeben sei.5 Mag die Kirche selbst auch diese allzu enge Ausdeutung ihrer Heilsnotwendigkeit nicht übernommen haben, sondern mit der wiederum von Augustinus selbst angebahnten Unterscheidung zwischen materiellen und formellen, gutgläubigen und böswilligen Häretikern wie zwischen dem sichtbaren Leib und der unsichtbaren Seele der Kirche die Möglichkeit gefunden haben, ihre einzigartige Heilsbedeutsamkeit festzuhalten und dennoch solche in gutem Glauben von ihrer sichtbaren Form Getrennte in die unsichtbare Liebeseinheit des mystischen Leibes Christi miteinzubeziehen, so tut dies doch der unzweifelhaften Größe der augustinischen Konzeption und ihrer historischen Stoßkraft gegen allen sektiererischen Rigorismus keinen Eintrag.

Um den Zentralgedanken der Liebe ranken sich in Augustins Predigten über den ersten Johannesbrief, mehr oder weniger deutlich damit verbunden, eine Fülle anderer Ideen: die Spannung vom Sichtbaren auf das Unsichtbare, vom Vergänglichen auf das Unvergängliche, vom gegenwärtigen Äon auf den zukünftigen, vom Diesseits auf das Jenseits, vom Menschen Christus auf den Gott Christus, vom sichtbaren Sakrament auf die unsichtbare Gnade hin, die Betonung der Notwendigkeit der innern Gnadenerleuchtung für die Glaubenserkenntnis des Menschen, die auf Grund äußerer Belehrung allein nicht zustande kommen könnte, der starke Widerwille gegen alles bloße Namenchristentum, aber nicht minder auch gegen jede pharisäische Selbst- S. 9und Werkgerechtigkeit und verbunden damit die lebendige Überzeugung, daß alle Gerechtigkeit des Menschen im letzten Grunde von Gott in Gnaden geschenkt ist, die Unterscheidung zwischen knechtischer und heiliger Furcht in ihrer Bedeutung für das Werden und Wachsen der wahren Gerechtigkeit, die Rückführung der Feindesliebe auf die Bruderliebe und der Bruderliebe auf die Gottesliebe sind Wahrheiten, die zu den Christen aller Zeiten gesprochen sind. Schließlich aber liegt das Geheimnis dieser Predigten nicht zuletzt darin, daß es nicht bloß gedachte, sondern gebetete Theologie ist, die Augustinus hier vor seinen Hörern ausbreitet.

Ohne daß der Kirchenlehrer selbst es recht beabsichtigte, wird so die Erklärung dieses Briefes zu einer Einführung in den ganzen Geist seiner Theologie und Frömmigkeit. Darum ist zu hoffen, daß sein Wort, solange die Liebe der Herzpunkt des Christentums bleibt, den Christen nicht fremd und unverständlich, nicht unzeitgemäß und unfruchtbar erscheint, sondern daß es, wie Augustinus selbst es in der Vorrede ausdrückt, für die einen wie Öl ins Feuer, für die andern wie Feuer auf den Zunder ist, daß bei den einen Nahrung finde, was bereits da ist, bei den andern entflammt werde, was noch fehlt, so daß wir alle in der einen Liebe unsere Freude finden.**

katholische Theologie 62. Bd (1938), S. 1—36; H. Rahner, Theologie der Verkundigung, in: Theologie der Zeit 3. Jahrg. (1938).


  1. Siehe dazu besonders Franz Lakner, Das Zentralobjekt der Theologie. Zur Frage um Existenz und Gestalt einer Seelsorgstheologie, in: Zeitschrift für  ↩

  2. Vgl. dazu Fr. Hofmann, Der Kirchenbegriff des hl. Augustinus (München 1933), besonderes 21: Die Kirche als Trägerin der Offenbarungswahrheit. ↩

  3. Vgl.. Hofmann a. a. O. S. 181 f. ↩

  4. Vgl. Hofmann a. a. O. S. 148ff ↩

  5. Vgl. Hofmann a. a. O. S. 212ff. ↩

pattern
  Drucken   Fehler melden
  • Text anzeigen
  • Bibliographische Angabe
  • Scans dieser Version
Übersetzungen dieses Werks
Gott ist die Liebe. Die Predigten des Hl. Augustinus über den 1. Johannesbrief
Kommentare zu diesem Werk
Einleitung: Gott ist die Liebe. Die Predigten des Hl. Augustinus über den 1. Johannesbrief

Inhaltsangabe

Theologische Fakultät, Patristik und Geschichte der alten Kirche
Miséricorde, Av. Europe 20, CH 1700 Fribourg

© 2023 Gregor Emmenegger
Impressum
Datenschutzerklärung