Unser Fürsprecher beim Vater
Und was tun wir mit unsern Sünden? Höre, was folgt! „Und das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, wird uns von jeder Sünde reinigen“ (1,7). Eine große Gewißheit hat Gott uns gegeben. Zu Recht feiern wir das Osterfest, an dem das Blut des Herrn vergossen wurde, durch das wir von aller Sünde gereinigt werden. Seien wir ohne Sorge! Den Schuldschein unserer Knechtschaft hatte der Teufel in Händen, aber durch das Blut Jesu Christi wurde er getilgt. „Das Blut seines Sohnes wird uns von aller Sünde reinigen.“ Was heißt: „von aller Sünde“? Im Namen Jesu Christi, durch das Blut dessen, den sie eben erst bekannt haben, sind die, die „Kinder“1 genannt werden, jetzt gereinigt von allen ihren Sünden. Doch was sollen wir tun? Die vergangenen Sünden sind vergeben, nicht nur ihnen, sondern auch uns. Aber vielleicht haben wir, da wir ja unser Leben in dieser Weltzeit in Versuchung führen, nach der Vergebung und Tilgung aller Sünden (d. h. nach der Taufe) wieder manches gefehlt. So tue denn der Mensch, was er vermag! Er bekenne, was er ist, um von dem geheilt zu werden, der immer ist, was er ist. Er war und ist ja immer; wir waren nicht und sind (jetzt) (Tr. 1, 5).
S. 20„Wenn wir sagen, daß wir keine Sünde haben, täuschen wir uns selbst und die Wahrheit ist nicht in uns“ (1,8). Wenn du dich also als Sünder bekennst, ist die Wahrheit in dir; die Wahrheit aber ist das Licht. Noch nicht vollkommen steht dein Leben im Lichte, weil es Sünden in ihm gibt; aber du stehst doch bereits im Anfang der Erleuchtung, weil du deine Sünden bekennst. Nun höre, wie Johannes fortfährt: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er getreu und gerecht, sie uns zu vergeben und uns von aller Ungerechtigkeit zu reinigen“ (1,9), nicht nur von den vergangenen Sünden, sondern auch von dem, was wir in unserm Christenleben etwa gefehlt haben. Denn solange der Mensch im Fleische wandelt, kann er wenigstens nicht ohne leichte Sünden sein. Welche Hoffnung haben wir also? Zuerst das Bekenntnis, dann aber die Liebe. Denn wie heißt es von der Liebe? „Die Liebe bedeckt die Menge der Sünden“ (1 Petr. 4,8) (Tr. 1,6).
Um nicht den Anschein zu erwecken, er habe den Sünden Straflosigkeit versprochen mit dem Wort: „Getreu ist und gerecht, der uns von aller Ungerechtigkeit reinigt“, und damit die Menschen sich ja nicht sagen können: „Sündigen wir nur und tun wir unbekümmert, was wir wollen; Christus reinigt uns; er ist getreu und gerecht; er reinigt uns von aller Bosheit“, darum nimmt der Apostel dir die schlechte Gewißheit und flößt dir heilsame Furcht ein. Willst du in Schlechtigkeit sorglos sein, so sei besorgt! Getreu nämlich und gerecht ist er, uns unsere Sünden zu vergeben, wenn du selbst immer Mißfallen an dir hast und dich änderst, bis S. 21du vollkommen wirst. Wie fährt Johannes darum fort? „Meine Kinder, das schreibe ich euch, damit ihr nicht sündigt“ (2, 1).
Aber vielleicht schleicht sich dennoch die Sünde in ein Menschenleben ein. Was wird dann geschehen? Werden wir uns jetzt der Verzweiflung überantworten? Höre! „Und wenn einer sündigt, so haben wir einen Fürsprecher beim Vater, Jesus Christus, den Gerechten; er ist die Sühne für unsere Sünden“ (2, 1f.). Dieser ist der Fürsprecher. Du gib dir Mühe, nicht zu sündigen; wenn aber die Sünde sich aus Schwachheit in dein Leben eingeschlichen hat, dann sieh gleich zu, hab sofort Mißfallen daran, verurteile sie schnell! Wenn du dein Urteil gesprochen hast, magst du unbesorgt vor den Richter kommen. Dort hast du einen Fürsprecher. Wenn schon in diesem Leben sich bisweilen ein Mensch einer beredten Zunge anvertraut und nicht verloren geht, wirst du verloren gehen, wenn du dich dem (ewigen) Worte anvertraust? (Tr. 1,7.)
Brüder, wir haben Jesus Christus, den Gerechten, selbst als Fürsprecher beim Vater; er selbst ist die Versöhnung für unsere Sünden. Wer das festhält, bricht keine Häresie vom Zaune; wer das festhält, löst kein Schisma aus. Denn woher kommen die Trennungen?2 Daher, daß die Menschen sagen: Wir sind gerecht, wir heiligen die S. 22Unreinen, wir rechtfertigen die Sünder, wir bitten, wir erlangen. Was aber sagt Johannes? „Wenn einer gesündigt hat, so haben wir einen Fürsprecher beim Vater, Jesus Christus, den Gerechten.“ Doch da wendet einer ein: Also bitten die Heiligen3 nicht für uns? Also bitten die Bischöfe und Vorgesetzten nicht für das Volk? Beachtet doch die Schrift und seht, daß auch die Vorgesetzten sich dem Volke empfehlen! Sagt ja der Apostel zum Volk: „Betet auch für uns!“ (Kol. 4,3.) Es betet der Apostel für das Volk, es betet das Volk für den Apostel. Wir beten für euch, Brüder; aber betet auch ihr für uns! Gegenseitig sollen alle Glieder im Gebete verbunden sein, das Haupt aber trete für alle ein! Darum ist es nicht verwunderlich, daß Johannes mit dem Folgenden denen, die die Kirche Gottes teilen, den Mund schließt: Um jener willen, die sie in der Zukunft spalten und sagen würden: „Siehe, hier ist Christus, siehe dort“ (Matth. 24, 23), und die zeigen wollten, daß der, der das Ganze erkauft hat und das Ganze zu eigen besitzt, im Teil ist,4 — um jener willen fuhr er nach den Worten: „Wir haben Jesus Christus, den S. 23Gerechten; er selbst ist die Versöhnung für unsere Sünden“, unmittelbar fort: Und nicht allein für die unsrigen, sondern auch für die der ganzen Welt“ (2,2). Was heißt das, Brüder? Mit Gewißheit finden wir die Kirche bei allen Völkern. Christus ist ja „die Versöhnung für unsere Sünden, und nicht allein für die unsrigen, sondern für die der ganzen Welt“. Da hast du die Weltkirche. Folge nicht denen, die fälschlich zu rechtfertigen vorgeben und die in Wahrheit nur trennen! Auf dem Berge sollst du sein, der den Erdkreis erfüllt hat (vgl. Dan. 2,35) (Tr. 1,8).
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Die Neubekehrten, die am Karsamstag getauft wurden, hießen wegen ihrer geistig-übernatürlichen Wiedergeburt im Sakrament der Taufe ohne Rücksicht auf ihr physisches Alter „infantes — Kinder“. ↩
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Augustinus spielt hier wie auch im Folgenden öfters auf die Sekte der Donatisten an, die die Rechtfertigung des Sünders wesentlich von der persönlichen Heiligkeit des Sakramentenspenders abhängig erklärte und die von Unwürdigen gespendete Taufe für ungültig hielt. ↩
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Damit sind nicht nur die bereits in die Ewigkeit eingegangenen Heiligen, sondern die heiligen Glieder der Kirche überhaupt gemeint, die nach Augustinus in ihrer Gemeinschaft die eigentlichen Träger der kirchlichen Sündenvergebungsgewalt sind, wenn auch die Spendung des sichtbaren Sakramentes beim Bischof allein steht; vgl. dazu Fr. Hofmann, Der Kirchenbegriff des hl. Augustinus, München 1933, S. 265 ff ↩
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Die Donatisten, im wesentlichen auf Afrika beschränkt, erhoben den Anspruch, allein die heilige Kirche Christi zu sein ↩
