3. Von der Liebe.
1. Glück des Menschen, der die Liebe Gottes hat; Charakterschilderung desselben.
Selig ist jener Mensch, welcher die Liebe Gottes hat; denn er trägt Gott in sich umher, weil „Gott die Liebe ist und, wer in der Liebe bleibt, in Gott bleibt.“1 Wer die Liebe besitzt, überwindet Alles mit Gott. Wer die Liebe hat, fürchtet sich nicht; denn „die Liebe treibt die Furcht aus.“2 Wer Liebe hat, S. 327 verabscheut Niemanden jemals, weder einen Kleinen noch Großen, weder einen Angesehenen noch Gemeinen, weder einen Armen noch Reichen, sondern er wird „der Auswurf Aller.“3 Er deckt4 Alles zu, erträgt Alles. Wer die Liebe besitzt, erhebt sich gegen Niemanden, bläht sich nicht auf,5 verleumdet Niemanden, sondern verabscheut vielmehr die Verleumder. Wer Liebe hat, wandelt nicht in Falschheit, läßt sich nicht überlisten, überlistet aber auch nicht den Bruder. Wer Liebe besitzt, ist nicht eifersüchtig, beneidet nicht, ist nicht mißgünstig, freut sich nicht über den Fall Anderer;6 er verhöhnt den Strauchelnden nicht, sondern bemitleidet und unterstützt ihn; er verachtet den Bruder in der Noth keineswegs, sondern steht ihm bei und ist bereit mit ihm zu sterben. Wer Liebe hat, thut den Willen Gottes und ist sein Jünger; denn unser liebenswürdiger Herr hat7 selbst gesagt: „Daran werden Alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr euch unter einander liebet.“ Wer die Liebe besitzt, erwirbt sich Nichts für sich selbst allein, nennt Nichts sein Eigenthum, sondern Alles, was er immer hat, gibt er für Alle zum gemeinschaftlichen Gebrauche bin. Wer Liebe hat, sieht Keinen für einen Fremdling, sondern Alle als die Seinigen an. Wer die Liebe besitzt, erbittert sich nicht,8 wird nicht aufgeblasen, entbrennt nicht in Zornhitze, freut sich nicht über das Unrecht, verharret nicht in Lüge, hält Niemanden für einen Feind, ausser den Teufel. Wer Liebe hat, hält Alles aus,9 ist gütig und langmüthig.10
2. Selige Folgen der Liebe für Jenseits. Wohlthaten der Liebe für die Menschheit.
S. 328 Selig also ist, wer die Liebe besitzt und mit ihr zu Gott hinpilgert; denn Gott wird ihn als den Seinigen anerkennen und in seinem Schooße aufnehmen. Ferner wird ein Genosse der Engel sein, wer die Liebe ausübt, und wird mit Christus herrschen. Durch sie ist auch Gott, das Wort, auf die Erde herabgekommen; durch sie ist uns das Paradies aufgethan und der Rückweg in den Himmel eröffnet. Da wir zuvor Feinde Gottes waren, sind wir durch sie wieder mit ihm ausgesöhnt worden.11 Mit Recht sagen wir daher: „Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt auch in Gott.“12
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1Joh 4,16. ↩
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1Joh 4,18. ↩
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1Kor 4,13. ↩
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Nach 1Kor 13, 7. Das Zudecken erklären Einige als liebevolles Entschuldigen der Fehler des Nächsten, Andere als Ertragen, Aushalten. Um die Wiederholung zu vermeiden, zieh' ich das Erste vor. ↩
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1Kor 13,4. ↩
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1Kor 13,4.6. ↩
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Joh 13,35. ↩
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Wieder nach 1 Kor 13,3.5.6 ↩
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1Kor 13,7. ↩
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1Kor 13,4. ↩
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Röm 5,10. ↩
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1Joh 4,16. ↩
