5. Kap. Blumen in Form von Kränzen auf dem Kopfe zu tragen scheint gegen ihre natürliche Bestimmung zu sein.
Die innere Begründung der christlichen Übungen wird um so stärker, wenn ihnen die Natur, welche ja der ursprüngliche Maßstab für das richtige Verhalten aller Dinge ist, zur Seite steht. Daher ist diese denn auch die erste, welche die Rechtseinsprache erhebt, daß kein Kranz auf das Haupt gehöre. Meine Ansicht ist die, unser Gott sei der Gott der Natur, derselbe, welcher den Menschen gebildet und ihm, um ihm das Begehren, Beurteilen und Erlangen des Nutzens, den die Dinge gewähren, zu ermöglichen, die bekannten Sinne gegeben hat nebst ihren an den Gliedern befindlichen besonderen Organen. Die Fähigkeit zu hören hat er in die Ohren gelegt, das Licht des Sehens in den Augen angezündet, das Schmecken an die Zunge gebunden, das Geruchsvermögen in der Nase angefacht, das Gefühlsvermögen außen in den Händen angebracht. Durch diese Verrichtungen des äußeren Menschen, welche dem inneren Menschen dienen, wird der Genuß und der Gebrauch der göttlichen Gaben von den Sinnen zur Seele hinübergeleitet. Welches ist nun der Nutzen, den man von den Blumen hat? Denn den eigentlichen, oder doch wenigstens den vornehmsten Bestandteil der Kränze bilden ja Blumen des Feldes. Die Antwort lautet: ihr Duft, ihr Anblick oder beides zugleich. Welches sind nun die für das Riechen und Anblicken bestimmten Sinne? Ich denke doch, das Gesicht und der Geruch. Welchen Gliedern sind diese Sinnestätigkeiten zugewiesen? Den Augen und der Nase, wenn ich nicht irre. Mache also Gebrauch von den Blumen durch Gesicht und Geruch, vermittels der Sinne, denen die betreffende Annehmlichkeit zugehört; mache Gebrauch davon mittels der Augen und der Nase, mittels der Sinne, deren Glieder diese sind. Die Sache selbst ist dir von Gott übergeben worden, die Art S. 241der Verwendung von der menschlichen Allgemeinheit1. Trotzdem widerstrebt auch die außergewöhnliche Art eigentlich dem gewöhnlichen Gebrauche nicht; denn Blumen, aneinandergereiht oder eingeflochten, an einen Faden oder an Binsen, sollen dir dasselbe sein, wie frei und angeflochten, nämlich eine Sache zum Ansehen und um daran zu riechen. Einen Kranz soll man höchstens für ein Bündel von Blumen ansehen, die darum in einer Reihe aneinandergefaßt sind, um mehrere auf einmal tragen und mehrere zugleich genießen zu können. Stecke sie dir auch noch an den Busen, wenn es sich darauf so weich liegt, und tue2 sie in den Trinkbecher, wenn das unschädlich ist. Bediene dich ihrer auf alle die Arten, wie du sie sinnlich wahrnimmst. Aber auf dem Kopfe? - was hat man da für einen Genuß von der Blume? was für eine Empfindung vom Kranze? Nichts als die Empfindung einer Fessel, weil man weder die schöne Farbe sieht, noch den Duft einatmet, noch die Zartheit sich bemerklich macht. Blumen auf dem Kopfe haben zu wollen, ist ebensosehr gegen die Natur, als eine Speise mittels des Ohrs, einen Schall mittels der Nase ergreifen zu wollen. Alles, was widernatürlich ist, verdient das Brandmal der Ungeheuerlichkeit bei allen, und bei uns auch noch den Titel eines Sakrilegiums gegen Gott, welcher der Herr und Urheber der Natur ist.
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saeculum ist hier = hominum universitas, der allgemeine menschliche Gebrauch. ↩
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Die Lesart crede ist schon mehreren verdächtig vorgekommen. Ich kann damit nichts anfangen, und da das vorgeschlagene inde sich zu weit vom Text entfernt, so denke ich an conde. Übrigens ist über die fragliche Sitte der Alten leider nichts näheres bekannt, so daß sich zu einer sicheren Vermutung keine Anhaltspunkte bieten. ↩
