6.
Eine besondere Weise der außergöttlichen Beziehungen Gottes stellen die göttlichen Sendungen dar. Der Begriff der Sendung verdankt Augustinus seine klare, für die Zukunft maßgebend gebliebene Fassung. Sendung ist nichts anderes als der Hervorgang einer Person von einer anderen, verbunden mit einer äußeren Offenbarung der hervorgehenden Person. Nur hervorgehende Personen werden sonach gesandt. Der innere Hervorgang einer Person ist die Voraussetzung für das Gesandtwerden. Es gibt äußere und innere Sendungen. Die äußere Sendung des Sohnes ist die Menschwerdung. Sie ist Sendung schlechthin. Wenn Augustinus gelegentlich sagt, daß der Sohn Gottes den Menschensohn oder einen Menschen angenommen habe,1 so darf man daraus nicht den Schluß ziehen, daß er in Christus zwei Personen annahm. Wo er sich näher erklärt, wird deutlich sichtbar, daß er nur an zwei Naturen denkt. Das zeithafte, S. 36 sichtbare Moment bei der Sendung ist von allen drei Personen gewirkt. Seine starke Betonung führt hin und wieder dazu, daß Augustinus entgegen seinem Grundbegriff der Sendung den Sohn auch von sich selbst gesandt werden läßt.2
In dem arianischen Streit spielen eine große Rolle die Gotteserscheinungen im Alten Testamente. Darüber war man sich zwar auf katholischer Seite immer klar, daß Gott in seinem Wesen nie geschaut werden kann. Augustinus beruft sich für die Unsichtbarkeit der ganzen Dreieinigkeit auf Ambrosius, Hieronymus, Athanasius, Gregor von Eliberis.3 Trotzdem glauben die Väter vor Augustinus fast ausnahmslos, in den Gotteserscheinungen des Alten Testamentes sei der Sohn Gottes erschienen, der zu diesem Zwecke eine sinnlich wahrnehmbare Gestalt angenommen habe, während der Vater über ein solches Eingehen in die Welt erhaben gewesen sei. Justin, Irenäus, Theophil, Clemens von Alexandrien, Origenes, Tertullian, Cyprian erklärten die Theophanien in dieser Weise. Später war diese Anschauung nicht minder allgemein. Sie bildete einen kräftigen Beweis gegen den Sabellianismus. Der Arianismus suchte aus ihr Kapital zu schlagen und bewies aus der Tatsache, daß der Sohn erschienen sei, der Vater nicht, die Verschiedenheit der Naturen. Einige katholische Schriftsteller ließen die alte Erklärung fallen, beherrscht von dem Gedanken der Gleichwesentlichkeit der Personen. Aber die meisten behielten die alte Ansicht bei und wußten auch mit ihr sich des Arianismus zu erwehren. Jene Theologen, welche die Gotteserscheinungen nicht mehr dem Sohne, ja überhaupt nicht mehr einer bestimmten Person zusprachen, sondern entweder alle drei Personen erschienen sein ließen oder es als zweifelhaft hinstellten, welche Person erschienen sei, waren Didymus, Epiphanius, Gregor von Nazianz und Gregor von Nyssa. Augustinus widmet dieser Frage lange Ausführungen im zweiten und dritten Buche seines Trinitätswerkes und in einer Schrift gegen den Arianer Maximinus. Er entscheidet sich, mit der fast einhelligen Tradition endgültig brechend und die durch die S. 37 Namen Didymus, Epiphanius, Gregor von Nazianz und Gregor von Nyssa bezeichnete Linie fortführend, für die Anschauung, daß durch Vermittlung eines sinnfälligen Geschöpfes alle drei Personen erscheinen konnten, daß man aber nicht leicht entscheiden kann, welche von den drei Personen erschienen sei, ob nur eine oder ob alle drei erschienen seien.4
Nachdem so der Trinitätsglaube des heiligen Augustinus mit seinen nicht den Glaubenskern als solchen, sondern nur die Weise, ihn aufzunehmen und auszusprechen, betreffenden Brechungen im Geiste des Kirchenvaters umrissen ist, ist noch kurz dem Nachsinnen des heiligen Augustinus über den Glauben nachzuspüren. Daß nach seiner Überzeugung dem Nachdenken über die Dreieinigkeit engbegrenzte Möglichkeiten gegeben sind, wird niemanden wundern, der seine Anschauung von der docta ignorantia kennt.5 Daß es in Gott einen Vater, Sohn und Heiligen Geist gibt, wissen wir nur, weil es Gott selbst mitteilte. Niemand hätte Gott als Dreieinigkeit erkannt, wenn er sich nicht als solche hätte kundgeben wollen.6 So ist es verständlich, daß es Augustinus nicht nur für keine überflüssige Mühe, sondern für eine notwendige Arbeit hält, die Heilige Schrift über die Wirklichkeit des dreieinigen Gottes zu befragen. Mit dem gleichen Eifer befragt er das kirchliche Glaubensbewußtsein, wie es sich in den kirchlichen Lehrentscheidungen, in der kirchlichen Tradition ausspricht.7 „Nur die erhabenen Geheimnisse verkündigen den allmächtigen und zugleich dreimal mächtigen Gott, den Vater, Sohn und Heiligen Geist.“8 Wenn wir freilich die Dreieinigkeit gläubig bejahen, dann werden wir durch den Glauben selber geläutert für die Einsicht. „Zuerst glaube, daß jene drei sind und daß die Dreiheit in der Personenverschiedenheit begründet ist und daß doch nicht drei Herren und drei Götter sind, sondern daß es ein Herr und Gott ist, und auf dein Glauben und Bitten hin wird dir der Herr selber Einsicht in den S. 38 Glauben gewähren.“9 Nie darf die Vernunft den Glauben an die Dreieinigkeit verbessern wollen. Was ihr unerklärlich bleibt, muß sie gläubig hinnehmen. Nie wird die Einsicht so weit in die Abgründe Gottes eindringen können, daß ihr der Glaube überflüssig wird. Das Bewußtsein der Unbegreiflichkeit des dreieinigen Gottes muß das Nachdenken über ihn wesensnotwendig begleiten. Wenn wir auf Gott die Begriffe Person, Wesen, Einheit, Dreiheit in derselben Weise anwenden wollen, wie sie uns im Bereiche unserer Erfahrung begegnen — der Rationalismus verfehlt eben gerade diese Transzendenz und die durch sie bedingte Unbegreiflichkeit Gottes —, dann sind Widersprüche im Glauben an die Dreieinigkeit die notwendige Folge.10
Einsicht in das Geheimnis sucht sich Augustinus zu verschaffen, indem er sich in die mannigfachen Analogien in den Geschöpfen vertieft. Da die Dreipersönlichkeit Gottes nicht etwas zu dem einen Gott Hinzukommendes ist, sondern eben der eine Gott, so muß sich in den Werken Gottes, auch wenn Vater, Sohn und Geist ein untrennbares Wirken eignet, nach Augustins Überzeugung eine Spur der Dreieinigkeit entdecken lassen. Da das Sein in seinem tiefsten Grunde ein dreieiniges ist, die Dreieinigkeit also nicht ein zufälliges, sondern ein wesensnotwendiges Gepräge des Seins ist, so muß sich die Dreiheit im innersten Gefüge eines jeden Seins finden. Wie so auf der einen Seite die Natur der Weg wird zu Gott, so führt auf der anderen Seite von Gott her der Weg zu einem vertieften Naturverständnis. Augustinus verschmäht es nicht, in den Gedankengängen seiner literarischen Vorfahren wandelnd, auch die bescheidensten, jedem naiven Denken zugänglichen Dreiheiten zu sammeln, so die Dreiheit fons — fluvius — potio (Quelle — Fluß — Trunk), Wurzel — Stamm — Frucht, das Gleichnis Feuer — Glanz.11 Im Dreischritt schreitet die Wissenschaft, die in Naturwissenschaft, Logik und Ethik zerfällt.12 Beim Menschen begegnet uns die Dreiheit: natürliche Anlage, Wissen, Gehaben.13 Doch Augustinus dringt tiefer in das Sein. Das S. 39 innerste Wesen der Dinge baut sich in einer Dreiheit auf. Das Gesetz der Dreiheit beherrscht das Sein. Es ist ein metaphysisches Gesetz. Dabei verschlägt es nicht viel, wie Augustinus die Dreiheit im einzelnen benennt. Es begegnen uns verschiedene Formeln. Sie sind von Portalié14 sorgfältig zusammengestellt, von Gilson15 gründlich und zusammenfassend dargestellt worden. Die wichtigsten Formeln seien genannt: Sein, Form, Bestand (esse, forma, manentia);16 Einheit, Gestalt, Ordnung (unitas, species, ordo);17 das, woraus ein Ding besteht, das, wodurch es sich unterscheidet, das, wodurch es mit sich übereinstimmt (quo res constat, quo discernitur, quo congruit);18 Maß, Gestalt, Ordnung (modus, species, ordo);19 Maß, Zahl, Gewicht (mensura, numerus, pondus);20 Maß, Wahrheit.21 Der Grundgedanke aller dieser und anderer Dreiheiten ist folgender: Gott ist das Sein schlechthin. Alle außergöttlichen Dinge haben Sein durch Teilnahme am Sein Gottes. Weil Gott das Sein schlechthin ist, ist er die Einheit schlechthin. Denn Sein und Einheit entsprechen sich. Soweit etwas ist, ist es eins; soweit etwas eins ist, ist es.22 Weil die Geschöpfe ein abgeleitetes und darum abgeschwächtes Sein haben, haben sie auch eine abgeleitete und abgeschwächte Einheit. Im Gegensatz zu Gott haben sie Sein und Einheit nach Maß. Das ist der Sinn des ersten Gliedes in den angegebenen Dreiheiten. Sofern den Geschöpfen Sein, Einheit, Maß zukommt, weisen sie auf Gott als ihren Urgrund hin. Nun zeugt der Vater einen ihm wesensgleichen Sohn. Dieser unterscheidet sich von ihm nur durch die beziehentlich verschiedene Besitzweise derselben Gottnatur. Der Sohn ist daher der vollkommene S. 40 Ausdruck des Vaters; das heißt: er ist das Bild des Vaters.23 Da der Vater in einem zeugenden Erkenntnisvorgang sein ganzes Wesen ausspricht und ausdrückt, so ist der durch das Erkennen gezeugte Sohn die geformte, gestaltete Erkenntnis des Vaters, die Form und Gestalt Gottes.24 Weil der Vater in diesem geistigen Worte auch jenes Wissen, jene Ideen und Pläne ausspricht, nach denen die Schöpfung werden soll, sind auch sie im Sohne enthalten, so daß er die Gestalt und Form der Welt ist.25 Da der Sohn dem Vater in jeder Hinsicht gleich ist, zwischen Vater und Sohn völliges Gleichmaß und Ebenmaß besteht, ist er zugleich die Wahrheit und Schönheit.26 Da alles Außergöttliche nach den im Sohne, in der Form und Gestalt, in der Wahrheit und Schönheit Gottes niedergelegten Ideen geschaffen ist, muß es, wie es an dem Sein und der Einheit Gottes in geschöpflichen Maßen teilnimmt, so auch an der Wahrheit und Schönheit Gottes teilnehmen. Während der Sohn die Wahrheit und Schönheit schlechthin ist, da in ihm das göttliche Sein und die göttliche Einheit schlechthin ausgedrückt ist, entspricht das Wahrheits- und Schönheitsmaß des Geschöpfes seinem Seins- und Einheitsmaß. Jedes Geschöpf hat also nur ein bestimmtes Wahrheits- und Schönheitsmaß, eben das seine, und unterscheidet sich so von anderen Geschöpfen. Darin ist die Vielheit (numerus) der Geschöpfe begründet. Indem Vater und Sohn sich liebend zueinander wenden und miteinander verbinden, hauchen sie den Heiligen Geist, den Ausdruck ihrer Liebe und ihrer Seligkeit, ihres seligen und liebenden Verbundenseins.27 Auf ihn weist hin die Tatsache, daß alle Dinge mit sich S. 41 selbst übereinstimmen, daß die Teile eines Dinges untereinander übereinstimmen und so die Einheit eines Dinges schaffen, daß die vielen Dinge trotz ihrer Verschiedenheit in gegenseitiger Verwandtschaft und Beziehung sich zu dem stufenförmig sich aufbauenden Reiche der Ordnung zusammenfügen. Diese Ordnungsbeziehungen der Dinge geben die Möglichkeit, daß wir sie gebrauchen und uns an ihnen freuen. So verlangt, wie Augustinus sich einmal ausdrückt, der metaphysische Aufbau der Dinge und des Alls eine dreieinige Ursache.28 Voreilig wäre es freilich, Augustinus wegen dieses Ausspruchs für einen Rationalisten zu halten, der die göttliche Dreieinigkeit für beweisbar hält. Er erklärt darin nicht näher, wie man sich die dreieinige Ursache denken muß. Daß sie eine dreipersönliche ist, lehrt ihn nur die Offenbarung. Der Glaube allein befähigt uns ja, in den irdischen Dreiheiten Bilder der göttlichen Dreieinigkeit zu sehen. Den Ungläubigen führt die Entdeckung der irdischen Dreiheiten zwar zu einer tieferen Einsicht in das Wesen der Natur, aber nicht in das Wesen Gottes.29
-
De trinitate, l. II c. 6 n. 11. ↩
-
Schmaus, 163―169. ↩
-
Epist. 148 c. 2―c. 4. ↩
-
Schmaus, 20—22; 160—163. ↩
-
Ebd. 177—190. ↩
-
Epist. 120 n. 2; De trin., l. I c. 7; l. XV c. 28; Tract. 48 in Joann. n. 8. ↩
-
Schmaus a. a. O. 179 f. ↩
-
De ordine, l. II c. 5 n. 16. ↩
-
Coll. cum Maxim. Arian. ↩
-
Schmaus a. a. O. 181 f., 185 f. ↩
-
Schmaus a. a. O. 190—194. ↩
-
De civ. Dei, l. XI c. 25. ↩
-
De civ. Dei, l. XI c. 25. ↩
-
Portalié, Augustin (Saint) in: Dictionnaire de théologie catholique, Sp. 2351 f. ↩
-
Gilson, Der heilige Augustin. Hellerau 1930, 358—366. ↩
-
Epist. 11 n. 3. ↩
-
De vera religione, c. 7 n. 13. ↩
-
De div. quaestionibus 83, 9. 18. ↩
-
De natura boni contra Manichaeos, c. 3. ↩
-
De trin., l. XI c. 11. Vgl. auch Enchir. c. 118. De natura boni c. Manich, c. 21. De civ. Dei l. V c. 11. ↩
-
De beata vita, n. 34. De vera religione, c. 36 n. 66. Sermo 71 n. 12; n. 18. ↩
-
De moribus eccl. cathol. l. II c. 6. ↩
-
Schmaus a. a. O. 361—369. ↩
-
Epist. 12; epist. 14 n. 4. De vera religione, c. 81. Sermo 117 n. 3. Vgl. J. Barion, Plotin und Augustinus. Berlin 1935, 106―109; siehe auch O. Perler, Der Nus bei Plotin und das Verbum bei Augustinus als vorbildliche Ursache der Welt, Paderborn 1931. ↩
-
Schmaus a. a. O. 354―361. ↩
-
De vera religione, c. 36 n. 66. De trin. l. VI c. 10 n. 12. ↩
-
De trin. l. VI c. 10 n. 12; l. V c. 5. ↩
-
De diversis quaest. 83, q. 18. ↩
-
De trin. I. XV c, 24; c. 23 n. 44; c. 27 n. 48. ↩
