Heide?
[Forts. v. [S. 17](https://bkv.unifr.ch/works/153/versions/459/scans/a0017.jpg) ] Schon gleich die erste Frage ist von Wichtigkeit: hat Hilarius diese Befähigung zum Glaubensstreiter dadurch gewonnen, daß er in einer Familie geboren und erzogen wurde, in der gläubige Gesinnung und kirchliche Gesittung selbstverständlicher Lebenskreis war; oder dadurch, daß er sich selbst den Weg vom Heidentum zum Christentum hin hat suchen müssen?
Eine klare Nachricht fehlt, doch lassen seine Schriften die zweite Möglichkeit fast zur Gewißheit werden.
„Wir sollten erkennen, daß nach dem Bade der Taufe einerseits von den himmlischen Toren her der Hl. Geist [S. 18](https://bkv.unifr.ch/works/153/versions/459/scans/a0018.jpg) auf uns herabschwebe, anderseits wir mit der Salbung der Herrlichkeit durchgossen und durch die Kindschaftserklärung der väterlichen Stimme Söhne Gottes würden‟ (In Matth. 2, 6). „Wir werden nämlich* nach* einem unerträglichen Hunger mit den geistlichen Speisen himmlischer Erkenntnis ernährt; die Fesseln wurden gelöst, die uns nicht zum Ewigen hineilen ließen; verweht wurde die Blindheit durch die huldvoll gewährte Weisheit, und wir erschauen unsern Schöpfer mit den Augen der Einsicht‟ (In ps. 145, 5). Denn „mag auch die mühsam erarbeitete Bildung weltlicher Lehre da sein, mag auch des Lebens Unschuld da sein: das wird zwar zu einem frohen Zustand des Gewissens von Nutzen sein, nicht aber wird es die Erkenntnis Gottes erreichen‟ (De trin. 5, 21). „Dann (erst), nach dem Empfang dieses Geheimnisses der Ehrfurcht (nämlich des Glaubens, insbesondere an die Menschwerdung und Erlösung), nach einer Nacht des Nichtwissens hingestellt in das Licht des Wissens, (dann erst) mag er sprechen: ,Soll nicht Gott meine Seele unterworfen sein? Von ihm nämlich kommt mein Heil. Er nämlich ist mein Gott, mein Heiland, mein Helfer, nicht werde ich fürderhin wanken.‘ Wer also nach schweifenden Irrfahrten und nach dem Meinen des Falschglaubens den Ruhsitz des Glaubens fand, der wankt fürderhin nicht, weil er seinen Helfer und Heiland erkannt hat‟ (In ps. 61, 2).
Und wie findet man diese Erkenntnis? „Als du mich zum Leben beseelt und auch die Einsicht der Vernunft mir gewährt hast, da hast du mich zur Erkenntnis deiner herangebildet, durch Bücher, die ich für heilig halte, und zwar des Moses und der Propheten, deiner heiligen Knechte‟ (De trin. 6, 19). „Zu spät hat mein Glaube, den du gebildet hast, diese zu Meistern gewonnen. Ohne sie gehört zu haben, so habe ich meinen Glauben geschenkt, so ihn durch die Wiedergeburt erlangt; und so bin ich darum dein‟ (De trin. 6, 21).
Noch schärfer faßt Hilarius den Gegensatz: „Wir und die anderen vor uns, von Schamlosen und Begehrlichen und Unreinen und Blutgierigen gezeugt und geboren fast wie die Jungen von Raben, wir rufen Gott an durch Erkenntnis, Bekenntnis, Dienst: damit wir aus [S. 19](https://bkv.unifr.ch/works/153/versions/459/scans/a0019.jpg) Joch- und Herdenvieh durch die Erkenntnis Gottes zu Menschen würden, der Vernunft nämlich teilhaftig geworden aus solchen, die der Vernunft bar waren‟ (In ps. 146, 12).
Deutlicher spricht Hilarius: „Was ich beim Glaubensbekenntnis meiner Wiedergeburt, getauft im Vater und Sohn und Hl. Geist, bekannt habe, will ich immer halten‟ (De trin.12, 57). „(Erst) kürzlich wiedergeboren und (erst) eine Zeitlang im Bischofsamt, habe ich vom Glauben des Nicänums nie etwas gehört‟ (De syn. 91).
Die vorgelegten Stellen sind zunächst noch so allgemein gehalten, daß man nicht weiß, ob sie nur den Unterschied zwischen einem Nichtgetauften und Getauften herausheben wollen oder aber den Übergang eines Heiden zum Christentum darstellen möchten. Fortschreitend aber werden die Aussagen bestimmter; und wenn man diese gelegentlichen Äußerungen zusammennimmt, erhellen sie, glaube ich, in eindeutiger Weise die einleitenden Kapitel des Buches De trinitate, wo Hilarius von dem Ungenügen spricht, das ein Leben ohne einen geistigen Gott bewirkt, auch wenn es über Reichtum und Überfluß verfügt (De trin. 1, 1); von dem Sehnen des Menschen nach einer guten Lebenserfüllung (1, 2); von dem Bemühen des Geistes um Gotteserkenntnis (1, 3); von der einzigartigen Bedeutung der alttestamentlichen Schriften (1, 5).
Man darf in dieser Schilderung den Rückblick des Hilarius auf seinen Lebensgang erblicken, geschrieben mit der Zurückhaltung eines vornehmen Geistes, aber um so überzeugter, je mehr er durch die Glaubenskämpfe sein Bestes und Höchstes — ein geistiges Leben um eines geistigen Gottes willen — in Frage gestellt sah.
Hilarius war also zuerst Heide, ehe er Christ und Priester und Bischof wurde. Daraus versteht man ein zweifaches: einmal seine Hingabe an seinen Glauben und sein Amt, die um so restloser ist, je mehr man unter dem Entbehren von beidem gelitten hat; sodann die etwas erstaunliche Tatsache, daß in seinen Schriften ein geradezu auffälliger Fortschritt des Gesichtskreises feststellbar ist: von seinen Erklärungen zu [S. 20](https://bkv.unifr.ch/works/153/versions/459/scans/a0020.jpg) Matthäus über die zwölf Bücher von der Dreifaltigkeit hin zum Buch von den Synoden und zuletzt den Erklärungen zu den Psalmen. Es war für Hilarius eben ein stetig fortschreitendes Erfassen, weniger ein Hineinwachsen als vielmehr Ausweiten, weil nur der Umkreis größer wurde, nicht aber Stellung und Gesichtspunkt anders. „Ich bezeuge es beim Gott des Himmels und der Erde, daß, wenn ich auch von keinem (gleichwesentlich, ähnlichwesentlich) gehört hatte, ich dennoch immer beides (richtig) verstanden habe‟ (De syn. 91). Man darf also nicht die Stellung des Hilarius zu sehr als kennzeichnend für die Lage innerhalb des gesamten abendländischen Episkopates nehmen, weil Hilarius erst noch aufholen mußte, was die anderen schon besaßen.