2.
Es ist aber nicht wenig zu bedauern und keine geringe Schande, wenn wir durch eigene Schuld uns selbst nicht kennen und nicht wissen, wer wir sind. Wäre es, meine Töchter, nicht eine große Unwissenheit, wenn jemand auf die Frage nicht zu antworten wüßte, wer sein Vater, wer seine Mutter, welches seine Heimat sei? Schon dies wäre ein Zeichen von großer Unvernunft, die sie aber noch unvergleichlich steigern würde, wenn wir uns nicht um die Erkenntnis unser selbst kümmerten, sondern uns nur mit unserem Leibe befaßten; (ja, es wäre höchst unvernünftig), wenn wir nur so obenhin, vielleicht aus der Erfahrung oder durch den Glauben, wissen, daß wir eine Seele haben, selten aber an die Güter denken würden, die sie in sich schließen kann, und uns weder ihren hohen Wert noch auch den vergegenwärtigen, der sie bewohnt. Dies ist auch der Grund, warum man sich so wenig darum kümmert, ihre Schönheit mit aller Sorgfalt zu bewahren. Alle unsere Sorge ist nur auf die rohe Einfassung, auf die Ringmauern der Burg, d. i. auf unseren Leib, gerichtet.
