3.
Königliche Erziehung aber ward ihm aus folgendem Anlass zuteil: da das Volk immer zahlreicher wurde, begann der König des Landes zu fürchten, dass die Eingewanderten infolge ihrer grösseren Anzahl mit stärkerer Hand mit den Einheimischen um die Herrschergewalt ringen könnten, und sann darauf, durch ruchlose Pläne ihnen ihre Kraft zu rauben. Daher gebietet er, von den Neugeborenen nur die weiblichen aufzuziehen — denn das Weib hat infolge seiner physischen Schwäche Scheu vor dem Kriege —, die männlichen aber umzubringen, damit sie sich nicht überall in den Städten vermehrten; denn eine auf tüchtigen Männern beruhende Macht ist ein schwer zu bezwingendes und schwer zu vernichtendes Bollwerk. Gleich nach der Gehurt nun zeigte der Knabe ein edleres Aussehen als Kinder gewöhnlicher Leute, weshalb auch die Eltern die Befehle des Herrschers, solange es ihnen möglich war, unbeachtet liessen; drei volle Monate nämlich soll er, unbemerkt von der Menge, als Säugling aufgezogen worden sein. Als aber, wie es in Monarchien zu geschehen pflegt, manche in dem Bestreben, dem Könige immer neuen Ohrenschmaus zuzutragen, auch die geheimen Winkel durchstöberten, da gerieten die Eltern in Furcht, sie könnten durch ihre Bemühungen um die Rettung des Einen alle mit ihm zusammen ins Verderben geraten. Sie setzten daher unter heissen Tränen den Knaben am Ufer des Flusses aus und entfernten sich seufzend; sie beklagten die eigene Zwangslage und nannten sich Mörder und Kindesmörder, beklagten aber auch den Knaben ob seines unnatürlichen Todes. Dann machten sie, wie es in so unerhörter Lage erklärlich ist, sich Selbstvorwürfe, als hätten sie sein Unglück nur verschlimmert. „Weshalb, so sprachen sie, haben wir ihn nicht gleich bei der Geburt ausgesetzt? Wer noch nicht menschlicher Ernährung teilhaftig geworden, den hält man überhaupt nicht für einen Menschen. Wir aber, wir Überklugen, haben ihn sogar drei volle Monate aufgezogen und uns selbst reichere Trübsal, ihm aber grössere Qualen geschaffen, auf dass er, für Freude und Schmerz in hohem Grade empfänglich, mit um so schmerzlicherer Empfindung für sein Unglück ende".
